Liebe braucht keinen Ort
auf beiden Planeten etwa zur gleichen Zeit entstanden ist.«
»Warum seid ihr dann … «
»Warum sind wir dann hier und studieren eure Kunst, Literatur und Musik? Sogar Nancy Drew und Nagellackfarben? Weil wir begriffen haben, dass all dieser Schlendrian euch irgendwie in der einen Sache, die wirklich wichtig ist, so viel besser macht.«
»Und was ist das?«
»Überleben. Unsere Bevölkerungszahlen sinken. Keiner hat mehr Interesse daran, Kinder zu bekommen. Eigentlich hat keiner Interesse an irgendwas. Indem wir jegliche Ineffizienz ausgemerzt haben, haben wir echte Gleichheit möglich gemacht. Jeder auf dem Planeten hat die gleichen Mittel und Möglichkeiten. Niemandem fehlt es an irgendwas. Wir sind freier denn je, unsere Forschung und Technologie voranzutreiben, aber dasscheint allen egal zu sein. Je mehr Ineffizienz wir ausmerzen, desto weniger neue Ideen haben wir. Und wenn es Rückschläge gibt, dann lösen die Teams nicht etwa die aufgetauchten Probleme, sondern geben das ganze Projekt auf und weigern sich, daran weiterzuarbeiten. Irgendwie scheint euer Schlendrian euch einen anderen Lebenswillen zu geben, und das wiederum bringt euch neue Ideen.«
»Aber du bist doch nicht so«, protestierte Liza.
»Nein, und deswegen bin ich auch hier. Vor Hunderten von Tausenden von Jahren hat Omura in der Evolution den falschen Weg eingeschlagen. Und jetzt wollen wir nicht aussterben und versuchen daher von euch zu lernen. Hilf mir also bei meinem Experiment. Lass uns etwas tun, was einfach nur Spaß macht.«
Liza überlegte einen Augenblick und lächelte dann. »Da weiß ich genau das Richtige.«
»Was?«
»O nein, es wird nichts verraten – du musst lernen, dich überraschen zu lassen und die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen«, sagte sie zu ihm. »Das gehört zu unserer Abmachung. Wir treffen uns am Samstagmorgen in der Victoria Station am Fahrkartenschalter für die Southern Line.«
Liza hatte nicht mit den ungeheuren Menschenmengen gerechnet. Nachdem sie ein paar Wochen in London eingesperrt gewesen waren, wollten die Leute unbedingt raus aus der Stadt. Der Vactrain nach Brighton brauchte weniger als eine Viertelstunde, aber die Warteschlange war die längste, die Liza je gesehen hatte. Sie hatte sich gerade schon gefragt, wie David und sie einander finden würden, als sie ihn in der Menge erblickte. Er schien sich mit einem hoch aufgeschossenen Mädchen zu unterhalten, das einen Wasserfall schimmernder schwarzer Haare hatte, doch alsLiza näher kam, war sie froh, dass das Mädchen dem jungen Mann neben sich einen kleinen Rippenstoß gab und dann in der Menschenmenge verschwunden war. Liza spürte, wie ihr die Erleichterung durch die Adern strömte. Sogar ohne das Gesicht des Mädchens gesehen zu haben, wusste Liza, dass sie eine Schönheit war.
»Hast du das damit gemeint, dass ich die Dinge nehmen soll, wie sie kommen?«, fragte David leichthin. »Eine Lektion im Ertragen von Menschenmengen?«
»Das tut mir leid. Hoffentlich kommt die Schlange rasch voran und sie haben zusätzliche Züge eingesetzt.«
»Das geht schon in Ordnung.« Er lächelte. »Ich kenne niemanden, mit dem ich lieber in einer Warteschlange stehen würde.« Er legte ihr leicht die Hand auf den Rücken, um sie näher an sich zu ziehen, und sie wusste, dass all ihre Besorgnis, es könnte unbehagliche Augenblicke geben, völlig unbegründet war.
Liza hatte die Idee, sie sollten sich vorstellen, wie die Paare, die in der Warteschlange standen, einander kennengelernt hatten, aber David meinte, sie sollten auch vorhersagen, wie die Zukunft der Paare sein würde. Liza übernahm die ersten drei und ließ sich Treffen einfallen, die David zum Lachen brachten. Er fand Gefallen daran und erzählte ihr, dass das ziemlich wohlhabend aussehende Rentnerpaar sich vor Jahren kennengelernt hatte, als der Ehemann noch Einbrecher war und die Frau, eine Polizistin, ihn verhaftet und dann angeregt hatte, auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Er meinte, sie hätte schon lange Ausschau nach einem gut aussehenden Einbrecher gehalten, den sie resozialisieren konnte.
Liza erzählte, wie sich ihre Eltern kennengelernt hatten, und David fand das faszinierend.
»Liebe auf den ersten Blick, ist so was erblich?« Er schaute siegespannt und plötzlich sehr ernst an. »Entscheidest du dich auch so schnell?«
Liza spürte, wie ihr eine warme Röte in die Wangen stieg. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie schließlich. »Ich habe mich vorher noch nie
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