Liebe braucht keinen Ort
dieses Zitat neulich zum ersten Mal gehört, und zwar von David. »Helen Keller.«
»Was, meine Liebe?«
»Das hat Helen Keller gesagt. Sie hat vor etwa zweihundert Jahren gelebt. Sie war blind und taub und … «
»Ich weiß, wer Helen Keller war, Liebes. Ich freue mich, dass du es auch weißt. Nun, dann wollen wir anfangen. Hast du Vorschläge für mich? Meine Tochter kann wirklich sehr anstrengend sein und regt sich immer so auf.«
Als Liza sich hinsetzte, verspürte sie einen Augenblick lang Panik und war von der Situation überfordert, aber Mrs Harts Fragen waren so präzise und irgendwie alltäglich. Im Laufe der nächsten Stunde erklärte Liza ihr verschiedene Methoden, um mit dem Schmerz fertigzuwerden, und half Mrs Hart, verschiedene auf sie persönlich zugeschnittene Übungen zu entwickeln. Sie sprachen auch über Mrs Harts Tochter, wobei Liza mehr zuhörte als redete und das Gefühl hatte, dass sie gute Fortschritte gemacht hatten, als Mrs Hart zu dem Ergebnis kam, dass sie ihrer Tochter Zeit geben musste, die Dinge auf ihre Weise anzunehmen.
»Das ist alles, was ich heute schaffe«, sagte die ältere Frau plötzlich, »aber ich hoffe, dass du nicht gleich wieder losmusst.Ich würde mich sehr über eine Tasse Tee und ein Schwätzchen freuen, und vielleicht können wir ein bisschen was von den riesigen Kuchenbergen essen, die die Leute mir andauernd bringen.«
Liza hatte gerade die Hälfte eines Törtchens mit Zitronencreme gegessen, als Mrs Hart sie überraschte und fragte: »Ich will ja nicht neugierig sein, aber was hat denn meine Lieblingsempathin auf dem Herzen?«
Liza kaute zu Ende und schluckte. »Ist das so deutlich zu sehen?«
Mrs Hart sagte nichts und wartete darauf, dass Liza fortfuhr, aber die blieb stumm. »Ah, Schweigen. Das bedeutet normalerweise, dass ein Mann im Spiel ist.«
»Mrs Hart … «
»Ellie. Wir können kein gemütliches Schwätzchen halten, wenn du mich noch Mrs Hart nennst.«
»Ellie. Ich bin mir gar nicht sicher, dass ich überhaupt darüber reden sollte. Ich bin doch hier, um Ihnen Techniken beizubringen, wie Sie mit Ihren Schmerzen fertigwerden.«
»Nein, du bist hier, um mir damit zu helfen, mit meinen Schmerzen
wirksam
fertigzuwerden. Und nichts wäre eine
wirksamere
Ablenkung, als sich ausnahmsweise einmal die Probleme eines anderen Menschen anzuhören. Ich will mich natürlich nicht in deine Privatangelegenheiten drängen, wenn du nicht darüber sprechen möchtest.«
In Wahrheit brannte Liza darauf, über David zu reden. Bisher hatte sie niemandem von ihm erzählt, nicht einmal Rani oder Jasmine. Also sprudelte die ganze Geschichte aus ihr hervor, als sie endlich eine begeisterte Zuhörerin hatte. Sie berichtete Mrs Hart, wie sie David kennengelernt hatte, wie er sie zum Frühstück eingeladen hatte und dass sie, obwohl er ein Außerirdischer war, immer und immer wieder an ihn denken musste. Undsie erzählte ihr auch von ihrer Verwirrung, wie sie immer spürte, dass er ihr etwas verschwieg, und wie Kleinigkeiten sie vermuten ließen, dass sie doch nicht ganz zusammenpassten, und wie sie sich manchmal fragte, ob sie sich irrte, wenn sie ihm so sehr vertraute.
»Und du magst ihn wirklich?«, fragte Mrs Hart nachdenklich. »Du glaubst wirklich, dass er jemand ist, der in deinem Leben wichtig werden könnte?«
Liza nickte.
»Dann gibt es eigentlich nur eine Frage, die wichtig ist. Ist er ein guter Mensch? Glaubst du, dass er ein gutes Herz hat?«
»Ja.« Liza dachte an die vielen Augenblicke, in denen sie eine Verbindung zu ihm hatte, und an die Augenblicke, in denen sie sich zurückgewiesen gefühlt hatte. Selbst dann hatte sie immer gespürt, dass er sie nur von sich schob, weil er sie vor etwas schützen wollte. »Ja, er hat ein gutes Herz.«
»Manchmal sieht es nämlich so aus, als täten Leute das Richtige, das, was du dir wünschst, aber sie haben selbstsüchtige Motive. Und Leute, denen an dir viel gelegen ist, machen Dinge, die dich verwirren. Aber wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich die Person auswählen, die ein gutes Herz hat. Wie lange kennst du ihn schon, sagst du?«
»Beinahe zwei Monate.«
Mrs Hart lachte. »O je, zwei ganze Monate. Und du weißt immer noch nicht jede Einzelheit über ihn! Ja, kein Wunder, dass du frustriert bist!« Sie lachte wieder. »Zwei Monate aus einem ganzen Leben! O Liza, wenn du jetzt schon alles über ihn wüsstest, was würdest du dann in den nächsten hundert Jahren
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