Liebe braucht keinen Ort
Abgesehen davon haben Sie die Gelegenheit, hier sehr viel Gutes zu tun. Sehen Sie die Datenspeicher da drüben?Der erste enthält die Korrespondenz mit Eltern vermisster Kinder, die wir wiedergefunden haben. Im nächsten befinden sich Informationen zu vereitelten Terroranschlägen. Der Rest besteht aus allen möglichen anderen Fällen – befreite Geiseln, gestohlene Meistergemälde, verloren gegangene Geheimdokumente, entwendete Waffen.« Er ergriff über den Schreibtisch hinweg ihre Hand. »Willkommen im Team.«
Als Liza, beladen mit Tüten aus dem Imbiss, Nudeln mit Artischocken und Knoblauchbrot, in Ranis Zimmer im Wohnheim auftauchte, war sie geistig vollkommen erschöpft. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als einfach nur auf Ranis Sofa zu sitzen und zuzuschauen, wie ihre Freundin Schüsseln, Besteck, Limonade und geriebenen Käse zurechtstellte, und dabei ihre Kommentare über eine Patientin anzuhören, mit der sie heute gearbeitet hatte und die wollte, dass Rani »Gruppensitzungen« mit ihr und ihrem Frettchen machte. Die Patientin hatte Diabetes und behauptete, ihr Frettchen sei zwar selbst kerngesund, neige aber dazu, ihr den Konsum von Süßigkeiten zu »ermöglichen«.
»Wie soll das denn gehen?«, fragte Liza lachend. »Das Frettchen wird ja wohl kaum einkaufen gehen und Malteser mitbringen.«
»Da irrst du dich gewaltig«, antwortete Rani, brachte die Schüsseln mit Pasta zum Sofa und reichte Liza eine davon. »Meine Patientin behauptet, dass das Frettchen ein Abo beim Schokolade-des-Monats-Klub hat.«
Sie setzten sich gemütlich mit untergeschlagenen Beinen hin und mampften genussvoll ihre Pasta. Als sie noch Studentinnen waren, hatten sie ihre Abende immer so verbracht und das für selbstverständlich gehalten. Nun blickte Liza auf diese Zeiten zurück und wusste, dass sie etwas Besonderes gewesen warenund ab jetzt noch seltener werden würden, weil Rani und sie selbst zunehmend mehr von anderen Menschen und Aufgaben gefordert wurden.
Als könnte sie Gedanken lesen, stellte Rani ihre leere Schüssel hin und sagte: »Also, ich habe mich bereit erklärt, mich mit dem Jungen zu treffen, über den meine Tante Meera immer redet. Der diesen Herbst nach England kommt, um an der London School of Economics anzufangen.«
»Was ist das denn? Du wirst dich doch nicht in das brave Hindu-Mädchen verwandeln, das du nie werden wolltest?« Liza konnte sich kaum etwas vorstellen, was Rani weniger ähnlich sah als eine arrangierte Ehe.
Rani zuckte die Achseln. »Ich nehme an, es ist unvermeidlich.« Sie senkte den Kopf, konnte aber ein kleines Lächeln nicht verbergen. »Außerdem hat er mir sein Bild und einen langen Brief geschickt. Beides war äußerst charmant.«
»Besonders das Bild?«, vermutete Liza.
»So ähnlich.« Rani kicherte. »Er hat dunkelblaue Augen. Das stimmt wirklich! Ich glaube, er muss eine englische Großmutter haben oder so was.«
Liza holte tief Luft. Besser würde die Gelegenheit nicht werden. »Wo wir gerade von Jungs sprechen, ich muss dich um einen Gefallen bitten … Aber es ist, äh, ein bisschen riskant. Versprich mir also, dass du Nein sagst, wenn du es nicht machen willst.«
Rani zog die Augenbrauen in die Höhe. »Liza McAdams verstößt gegen die Regeln? Gefällt mir jetzt schon.«
»Ich muss David sehen, selbst wenn er recht hat und es für uns zu gefährlich ist, uns immer wieder zu treffen. Ich muss wissen, ob er das wirklich ernst meint. Und ich weiß nicht einmal, wo er in London lebt. Er hat mir seine Adresse nie gegeben.«
»Und da komme ich dann ins Spiel?«
Liza nickte. »Findest du die Idee schrecklich?«
»Wieso sollte ich?«
»Weil er ein Außerirdischer ist. Weil du erst neulich gesagt hast: ›Ich kann mir nicht vorstellen, mich wegen eines Jungen so aufzuregen.‹«
Rani sah verletzt aus. »Das stimmt, ja, Liza, ich habe gesagt,
ich – ich
kann es mir nicht vorstellen. Aber das heißt doch nicht, dass es für dich auch das Falsche ist. Vielleicht finde ich, dass es irgendwo cool ist, wie du dich in eine Sache so hineinstürzen kannst. Vielleicht würde ich gern auch irgendwann einmal so etwas für jemanden empfinden.«
Liza war zu schroff gewesen und es tat ihr leid. Ehe sie etwas sagen konnte, fuhr Rani freundlich fort: »Also, jetzt erzähle mir mal, was dein Plan ist.«
»Arbeitest du noch Schicht in der Notaufnahme? In der ersten Nacht, als David eingeliefert wurde, haben sie sich bestimmt seine Papiere zeigen lassen und die übliche
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