LIEBE DEINEN NÄCHSTEN Noah Fitz Thriller (German Edition)
verschlangen die Realität. Die Sicht wurde milchig und trüb, auch wenn der Himmel wolkenlos blau und die Sonne grell war.
Gegen die Ohnmacht ankämpfend, musste Jochen all seine Kräfte mobilisieren, er stand, nein, h ing kurz vor einem Kollaps. Seine Lider flatterten wie die Flügel eines Monarchen. Dunkelheit legte ihren undurchsichtigen Mantel um seinen Körper und nahm seine Seele mit in die Welt der Schwerelosigkeit. Er sah und spürte nichts mehr. Der Schmerz und die Erniedrigung wichen, sein Geist verließ die fleischliche Hülle. Jochen sah auch nicht, wie der Psychopath die Hand vom Unterarm trennte, die er dann mit einem blutverschmierten Stück Papier, beides eingetütet in einer Schachtel, verschwinden ließ, vorher wurde aber das abgetrennte Glied mit einem langen Nagel durchschlagen. All das konnte Raphaels Sohn nicht mehr wahrnehmen. Die Hitze und Erschöpfung forderten ihren Tribut. Seine Seele schwebte im Nirgendwo, sein geschundener Körper hing an einem schlecht gezimmerten Kreuz irgendwo in einer Münchner Gegend.
*****
Eine undurchdringliche Hitzewelle schlug heftig auf die beiden ein. Draußen war es unwahrscheinlich heiß geworden. Der Sommer zeigte sich nun von seiner schönsten Seite und glänzte mit einem blauen, unbewölkten Himmel. All das Schöne sahen die Beamten von der Kripo nicht. Raphael gingen tausend Sachen durch den Kopf, sein Schädel drohte zu zerbersten. Sein Denkapparat, der sonst einem Schweizer Uhrwerk glich, tickte nicht mehr zuverlässig. Eines der Zahnräder hakte. Immer wieder musste er feststellen, dass es die Sorge um seinen Sohn war, die ihn bei seinen Ermittlungen störte. Von einem Profi-Ermittler blieb manchmal nichts mehr übrig als ein vor Kummer sterbender Vater. Er musste sich endlich zusammenreißen, keiner konnte ihm noch helfen, und auch seinem Sohn nicht.
„Lisa, wir müssen ein Profilbild erstellen. Wir müssen herausfinden, wie der Geistesgestörte tickt. Er muss viel über mich wissen, zumindest so viel, dass ich einen Sohn habe und Jochen in der Schweiz lebt …“ Raphael blieb mitten im Schritt stehen. Sein Brustkorb hob und senkte sich, bevor er wieder zum lauten Nachdenken ansetzte, atmete er mit geschlossenen Augen noch einige Male tief durch.
Ein Klicken, ein Zischen, ein Glimmen, danach ein zufriedenes Seufzen.
Lisa ließ ihren Partner diese Zigarette genießen, sofern man das vorsätzliche Vergiften seines eigenen Körpers zur Kategorie des Genusses zählen konnte.
Den Rauch durch die Nasenlöcher ausatmend, sagte er: „ Der Mann, nach dem wir fahnden, hat einen Komplizen, mindestens einen, er verfolgt uns oder lässt uns beschatten, daher das Theater im Krankenhaus, er kennt meine Vorgehensweise, und er ist uns immer eine Nasenlänge voraus.“
„Kann es jemand aus dem Osten sein?“, mischte sich Lisa ein, den Rauch mit ihrer kleinen Hand von sich weg wedelnd.
Raphael schaute sie stirnrunzelnd an. Die Zigarette schien ihm heute nicht so gut zu schmecken, denn er schnippte sie gekonnt im hohen Bogen auf die Straße.
„Als du Michael um Hilfe batest, hast du das russische Wort „Pamagi“ verwendet, was bedeutet das eigentlich genau?“ Lisas Augenbrauen hoben sich fragend an. „ Kann sein, dass unser Unbekannter diese Sprache versteht, vielleicht kommt er sogar aus dem Ostblock?“
Raphael bi ss sich nachdenklich in die Innenseite seiner Wange. „Wir müssen uns setzen, die Hitze macht mich noch greislich.“ Die Sonnenstrahlen waren erbarmungslos. Der gelbe Stern erdrückte alles unter sich mit seinem grellen Licht.
„ Graziano kann ja ein bisschen warten. Sein Mofa ist eh Schrott. Er sagte noch, dass Dieter verschwunden ist, aber er hat ja schließlich auch Urlaub.“ Raphael hatte das krankenhauseigene und ziemlich kleine Restaurant entdeckt, dort saßen einige Menschen unter dem Schutz der Sonnenschirme und tranken das kühle, golden schimmernde Nass. Lisa spürte das Prickeln und die Kühle, welches sie in wenigen Minuten erleben würde, falls sie ihrem Kollegen folgen würde. Bei der Hitze hatte sie gegen die Anziehungskraft der verführerischen Fata Morgana keine Chance.
Der Straßenbelag schimmerte unter der Hitze, vom morgigen Regen gab es keine Spur mehr, nur die erdrückende Schwüle war geblieben. Das Atmen wurde fast schon zur Qual.
Raphael sprach erst weiter, als er einen Schluck aus dem schwitzenden Bierglas zu sich nahm.
„Die Russen verwenden das Wort Pamagi , wenn sie in der
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