Liebe deinen Naechsten - und nicht nur Ihn
schickte, um sich nach seinen Fortschritten zu erkundigen, reichten ihm. »Du müsstest doch am besten wissen, worauf ich bei einem Mädchen stehe«, sagte er schroff. Owens Ohren färbten sich auf der Stelle rot. Gut. Vielleicht würde er ja jetzt Ruhe geben.
»Sorry.« Rhys zuckte mit den Achseln. »Ist das die jahrhundertealte ›Brüste oder Hintern‹-Frage?« Das Schwimmteam erörterte sie mindestens einmal pro Woche und war darüber in zwei Lager gespalten – bis auf Chadwick Jenkins, der sich da nicht so genau festlegen wollte. Als würden die Mädels bei dem spindeldürren, ständig wie ein verschrecktes Reh aussehenden Neuntklässler Schlange stehen.
»Nein, so meinte ich das nicht. Also ich zum Beispiel mag Mädchen, die wissen, was sie wollen, und auch nicht davor zurückschrecken, es sich zu nehmen«, sagte Owen nachdenklich. Der Kellner kam mit zwei mit Wilderdbeeren verzierten Mimosas zurück. Owen prustete verächtlich, als er die Erdbeeren sah, und leerte die Hälfte des Glases in einem Zug. Er war eben eher der Biertrinker.
Rhys versank in grüblerisches Schweigen. Was mochte er an einem Mädchen? Er hatte Kelseys Haare geliebt, ihre Augen, den leicht schief stehenden Vorderzahn und ihren künstlerisch angehauchten Stil. Und dann waren da natürlich noch ihre Begeisterungsfähigkeit und ihre korallenfarbenen Lippen und … Seltsam, aber je länger er versuchte, sich an Details zu erinnern, desto weniger gelang es ihm. Sie waren so lange zusammen gewesen und kannten sich so gut, dass es ihm schwerfiel, sich ins Gedächtnis zu rufen, was genau ihn anfangs zu ihr hingezogen hatte.
Dafür wusste er mittlerweile genau, was ihn zu Avery hinzog – ihre seidig glänzenden blonden Haare, die offensichtliche Sorgfalt, mit der sie ihre Outfits zusammenstellte, ihre zurückhaltende und doch selbstbewusste Art. Er fand es sogar süß, wie sie Owen und Baby herumkommandierte, weil es letzten Endes nur aus Sorge und Zuneigung zu ihnen geschah. Und obwohl sie sich immer sehr vernünftig und verantwortungsbewusst gab, schien eine verletzliche Seele in ihr zu wohnen. Sie sehnte sich nach dem Glamour einer längst vergangenen Zeit. Sie war, im wahrsten Sinne des Wortes, eine Romantikerin.
»Schmutzige Fantasien?«, riss Owens ironische Stimme ihn aus seinen Träumereien.
»Klar, von dir«, gab er zurück. Die Wahrheit war, je länger er an Avery dachte, desto sicherer wusste er, dass er sie sehen musste. Auch wenn sie Owens Schwester war. Auch wenn er sich geschworen hatte, fürs Erste nur mit ihr befreundet zu sein. Sie hatte kein Wort darüber verloren, was sie heute vorhatte, und er wollte sie noch erwischen, bevor sie reiten ging oder tiefseetauchen oder bei irgendeiner der anderen »Familien-Aktivitäten« mitmachte, die Remington gestern beim Abendessen vorgeschlagen hatte.
»Ha, ha«, machte Owen und warf ihm einen prüfenden Blick zu. Rhys starrte in seinen Mimosa, als würde er das Geheimnis des Universums bergen.
»Ich hau wieder ab«, sagte er plötzlich und sprang von seinem Stuhl auf. »Wir sehen uns dann später.« Im Laufschritt eilte er davon.
»Hey! Und was ist jetzt mit Mädels?«, rief Owen ihm hinterher. Was war denn los, verflucht? Er griff nach Rhys’ Glas und leerte es. Vielleicht war er immer noch nicht über Kelsey hinweg und nervös geworden, als plötzlich von anderen Mädchen die Rede war. Aber wenn dem so war, würde er dann nicht leichter über sie hinwegkommen, wenn er sich eine andere suchte?
Doch, doch. Aber eben eine ganz Bestimmte …
Owen legte sich in einen der Liegestühle, schloss die Augen und genoss die Sonne auf seinem Gesicht. Vielleicht sollte er einfach noch eine Runde schlafen. Warum waren sie überhaupt so früh aufgestanden? Und das auch noch an Thanksgiving. Heute Abend wollten sie sich alle zu einem großen Familienessen treffen, aber tagsüber war nichts Verpflichtendes geplant. Es sprach also nichts dagegen, einfach hier am Pool den Tag zu verschlafen …
»Hey, Schnuckelchen! Schläfst du, oder was?«
Owen öffnete ein Auge. Ein Mädchen stand über ihn gebeugt neben seiner Liege, ihr winziges regenbogenfarbenes Bikinioberteil nur wenige Zentimeter von seiner Nase entfernt. War das ein Traum? Gut möglich. Ihre Stimme hatte den gleichen derben Cockney-Akzent wie die der Mädchen in »My Fair Lady«, Averys Lieblingsfilm, als sie sieben gewesen war.
»He! Klopf, klopf! Was ist da drin? Stroh?« Sie tippte mit einem ihrer langen Gelnägel gegen
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