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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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war es gut gegangen, daran lag es wahrscheinlich. Er war zu sicher geworden. Verstohlen blickte er umher, um eine Gelegenheit zum Weglaufen zu finden. Aber der Weg war zu kurz; wenige Minuten später war er schon auf der Polizeiwache.
      Der Beamte, der ihn das erstemal hatte laufenlassen, saß an einem Tisch und schrieb. Kern schöpfe Mut. »Ist er das?« fragte der Polizist, der ihn gebracht hatte.
      Der erste sah Kern flüchtig an. »Möglich. Kann’s nicht genau sagen. Es war zu dunkel.«
      »Dann werde ich Ammers mal anrufen, der muß ihn ja kennen.«
      Er ging hinaus. »Menschenskind!« sagte der erste Beamte zu Kern, »ich dachte, Sie wären längst weg. Jetzt wird’s böse. Ammers hat Sie damals angezeigt.«
      »Kann ich nicht wieder weglaufen?« fragte Kern rasch. »Sie wissen doch …«
      »Ausgeschlossen. Der einzige Weg geht durch das Vorzimmer drüben. Und da steht Ihr Freund und telefoniert. Nein … jetzt sitzen Sie drin. Gerade unserm schärfsten Mann, der befördert werden will, sind Sie in die Finger gefallen.«
      »Verdammt!«
      »Ja. Besonders, weil Sie schon einmal ausgerissen sind. Ich mußte das seinerzeit rapportieren, weil ich wußte, daß Ammers nachspionieren würde.«
      »Jesus!« Kern trat einen Schritt zurück.
      »Sie können sogar Jesus Christus sagen!« erklärte der Beamte. »Diesmal hilf es nichts, Sie kriegen ein paar Wochen.«
      Einige Minuten später kam Ammers. Er keuchte, so war er gelaufen. Sein Spitzbart glänzte. »Natürlich!« sagte er. »Das ist er! In Lebensgröße, dieser Frechling!«
      Kern sah ihn an. »Diesmal wird er ja wohl nicht entwischen, wie?« fragte Ammers.
      »Diesmal nicht«, bestätigte der Gendarm.
      »Gottes Mühlen mahlen langsam«, deklamierte Ammers salbungsvoll und triumphierend. »Langsam, aber trefflich fein. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.«
      »Wissen Sie, daß Sie Leberkrebs haben?« unterbrach Kern ihn. Er wußte kaum, was er sagte. Er wußte auch nicht, wie er auf den Gedanken kam. Er war nun plötzlich rasend vor Wut, und ohne sein Unglück noch ganz zu fassen, richtete sich all sein Denken im Augenblick automatisch nur auf den Punkt, Ammers durch irgend etwas zu treffen. Schlagen konnte er ihn nicht, das hätte seine Strafe vergrößert.
      »Was?« Ammers vergaß vor Überraschung den Mund zu schließen.
      »Leberkrebs! Typischen Leberkrebs!« Kern sah, daß er getroffen hatte. Sofort stürzte er sich weiter darauf. »Ich bin Mediziner, ich weiß das! In einem Jahr geht es los mit rasenden Schmerzen! Sie werden einen furchtbaren Tod haben! Es ist nichts dagegen zu machen! Nichts!«
      »Das ist doch …!«
      »Gottes Mühlen!« zischte Kern. »Wie sagten Sie? Langsam, langsam! Jahrelang!«
      »Herr Gendarm!« zeterte Ammers. »Ich verlange, daß Sie mich schützen vor diesem Individuum!«
      »Machen Sie Ihr Testament«, fauchte Kern. »Es ist das einzige, was Ihnen noch übrigbleibt! Von innen zerfressen und verfaulen werden Sie!«
      »Herr Gendarm!« Ammers blickte hilfesuchend und wild um sich. »Sie haben mich vor dieser Beleidigung zu schützen.«
      Der erste Beamte sah ihn interessiert an. »Bis jetzt beleidigt er Sie noch nicht«, erklärte er dann. »Bis jetzt macht er nur medizinische Feststellungen.«
      »Ich verlange, daß das alles zu den Akten genommen wird!« schrie Ammers.
      »Sehen Sie nur!« Kern zeigte mit dem Finger auf Ammers, der zurückzuckte, als wäre dieser Finger eine Schlange. »Die bleigraue Gesichtshaut in der Erregung, die gelblichen Augäpfel … ganz sichere Anzeichen! Ein Todeskandidat! Man kann nur noch für ihn beten!«
      »Todeskandidat!« tobte Ammers, »nehmen Sie Todeskandidat zu den Akten!«
      »Todeskandidat ist ebenfalls keine Beleidigung«, erklärte der erste Beamte mit offener Schadenfreude. »Sie werden nicht darauf klagen können. Wir sind alle Todeskandidaten.«
      »Die Leber zersetzt sich bei lebendigem Leibe!« Kern sah, daß Ammers plötzlich blaß geworden war. Er machte einen Schritt vorwärts. Ammers wich vor ihm zurück wie vor dem Satan. »Anfangs merkt man nichts!« erklärte Kern mit wütendem Triumph. »Es ist auch kaum etwas festzustellen. Wenn man es aber merkt, ist es schon zu spät. Leberkrebs! Der langsamste und fürchterlichste Tod, den es gibt!«
      Ammers starrte Kern nur noch an. Er erwiderte nichts mehr. Unwillkürlich griff er mit der Hand in die Gegend der

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