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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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kennengelernt. Mehr vielleicht als mancher, dem es gut geht.«
      Der Richter stand auf und kam schwerfällig um seinen Stuhl herum auf Kern zu. »Gut, so was zu hören«, murmelte er. »Wenn ich nur wüßte, was ich für Sie tun könnte!«
      »Nichts«, sagte Kern. »Ich kenne die Gesetze auch schon, und ich habe einen Bekannten, der ist sogar Spezialist darin. Schicken Sie mich ins Gefängnis.«
      »Ich schicke Sie in Untersuchungshaf und gebe Ihren Fall an das Obergericht weiter.«
      »Wenn es Ihnen das Urteil erleichtert, gern. Wenn es aber länger dauert, möchte ich lieber ins Gefängnis.«
      »Es dauert nicht länger, dafür werde ich sorgen.«
      Der Richter nahm ein riesiges Portemonnaie aus der Tasche. »Es gibt ja leider nur diese primitive Form von Hilfe«, sagte er zögernd und nahm einen zusammengefalteten Schein heraus. »Es ist mir peinlich, nichts anderes für Sie tun zu können …«
      Kern nahm das Geld. »Es ist das einzige, was uns wirklich hilf«,
    erwiderte er und dachte: Zwanzig Franken! Welch ein Glück! Damit kommt Ruth bis zur Grenze!
      Er wagte nicht, ihr zu schreiben. Es wäre dadurch herausgekommen, daß sie schon langer im Lande war, und sie hätte verurteilt werden können. So hatte sie immer noch die Möglichkeit, einfach ausgewiesen zu werden oder, wenn sie Glück hatte, ohne weiteres aus dem Krankenhaus entlassen zu werden.
      Am ersten Abend war er unglücklich und unruhig und konnte nicht schlafen. Er sah Ruth fiebernd im Bett liegen und schreckte auf, weil er geträumt hatte, sie würde begraben. Er hockte sich auf die Pritsche und saß lange Zeit so, die Arme um die Knie gepreßt. Er wollte sich nicht unterkriegen lassen, aber er fühlte, daß es stärker sein könnte als er. Es ist die Nacht, dachte er, die Nacht und die Angst der Nacht. Die Angst am Tage ist vernünfig; die Angst der Nacht ist ohne Grenzen.
      Er stand auf und ging in dem kleinen Raum hin und her. Er atmete lang und tief. Dann zog er seine Jacke aus und begann, Freiübungen zu machen. Ich darf die Nerven nicht verlieren, dachte er; dann bin ich verloren. Ich muß gesund bleiben. Er machte Kniebeugen und Rumpfdrehungen, und allmählich gelang es ihm, sich auf seinen Körper zu konzentrieren. Dann kam ihm die Erinnerung an den Abend auf der Polizeiwache in Wien und den Studenten, der Boxunterricht gegeben hatte. Er verzog das Gesicht. Ohne den Studenten wäre ich heute abend sicher nicht so gegen Ammers gewesen, dachte er. Ohne ihn nicht und ohne Steiner nicht. Ohne dieses ganze harte Leben nicht; es soll mich hart machen, aber es soll mich nicht kaputtschlagen. Ich will mich wehren. Er begann auszuholen, weich in den Beinen federnd, und schlug lange Gerade mit dem ganzen Körperschwung in das Dunkel, rechts und links, dann ein paar kurze Uppercuts dazwischen, rascher und rascher … und plötzlich schimmerte vor ihm geisterhaf der weiße Spitzbart des leberkranken Ammers durch die Finsternis, und die Sache bekam Saf und Kraf. Er schlug ihm kurze Gerade und gewaltige Schwinger um Kinn und Ohren, er pfefferte zwei wüste Herzhaken und einen grauenhafen Schlag auf den Solarplexus hinterher, und es schien ihm, als hörte er Ammers mit einem Ächzen zu Boden krachen. Aber das war ihm noch nicht genug. Er ließ ihn immer aufs neue hochkommen, und er zerschlug systematisch den Schatten des Feindes, keuchend vor Erregung, wobei ihm zum Schluß als besondere Delikatesse schwere Leberhaken einfielen. So wurde es Morgen, und er war so erschöpf und müde, daß er auf seine Pritsche fiel und sofort einschlief und die Angst der Nacht hinter sich gebracht hatte.
      Zwei Tage später trat Doktor Beer in die Zelle. Kern sprang auf. »Wie geht es ihr?«
      »Ganz gut; das heißt normal.«
      Kern atmete auf. »Woher wußten Sie, daß ich hier bin?«
      »Das war einfach. Sie kamen nicht mehr. Also mußten Sie hier sein.«
      »Das stimmt. Weiß sie es?«
      »Ja. Als Sie gestern abend nicht als Prometheus aufraten, hat sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, mich zu erreichen. Eine Stunde später wußten wir Bescheid. Übrigens eine verrückte Idee, das mit den Streichhölzern!«
      »Ja, das war es! Manchmal glaubt man, schon sehr gerissen zu sein; dann macht man gewöhnlich Dummheiten. Ich bin vorläufig zu vierzehn Tagen verurteilt. Ich komme wahrscheinlich in zwölf Tagen heraus. Ist sie dann gesund?«
      »Nein. Jedenfalls noch nicht so, daß sie reisen kann. Ich denke, wir

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