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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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etwas von Gedankenübertragung gehört und versuchte sich jetzt zu konzentrieren, um Kraf zu Ruth hinüberzuschicken. – Laß sie gesund werden, laß sie gesund werden! dachte er eindringlich und wußte nicht, zu wem er betete. Er holte tief Atem und ließ ihn langsam ausströmen; er erinnerte sich, daß tiefes Atmen als wichtig bezeichnet war in dem Buch, das er gelesen hatte. Er ballte die Fäuste und spannte die Muskeln an, er hob sich auf die Zehen, als wollte er losspringen, und flüsterte immer wieder gegen das helle Lichtkarree in die Nacht: »Werde gesund! Werde gesund! Ich liebe dich!«
      Das Fenster verdunkelte sich. Er sah einen Schatten. Sie soll doch im Bett bleiben! dachte er, während ein Sturzbach von Glück ihn überströmte. Sie winkte; er winkte wild zurück. Dann erinnerte er sich, daß sie ihn nicht sehen konnte. Verzweifelt blickte er nach einer Laterne, nach einem Schein Helligkeit aus, um sich davorzustellen. Nichts war zu sehen. Da kam ihm ein Gedanke. Er riß eine Schachtel Zündhölzer aus der Tasche, die er morgens zu seinen zwei Zigaretten geschenkt bekommen hatte, zündete eins an und hielt es hoch.
      Der Schatten winkte. Er winkte vorsichtig mit dem Zündholz zurück. Dann riß er ein paar neu an und hielt sie so, daß sie sein Gesicht beleuchteten. Ruth winkte hefig. Er machte Zeichen, sie solle sich niederlegen. Sie schüttelte den Kopf. Er beleuchtete sein Gesicht und nickte nachdrücklich. Sie folgte nicht. Er merkte, daß er fortgehen mußte, um sie dazu zu bewegen, sich wieder ins Bett zu legen. Er machte ein paar Schritte, um zu zeigen, daß er ginge. Dann warf er alle brennenden Streichhölzer hoch. Sie fielen flackernd zu Boden und verlöschten. Das Licht brannte noch einen Augenblick. Dann erlosch es, und das Fenster schien dunkler zu sein als alles andere.

    »GRATULIERE, GOLDBACH!« SAGTE Steiner. »Sie waren heute zum erstenmal gut! Ohne jeden Fehler, ruhig und überlegen. Erstklassig, wie Sie mir den Tip gegeben haben mit dem Streichholz im Busenhalter! Das war wirklich schwer.«
      Goldbach sah ihn dankbar an. »Ich weiß selbst nicht, wie es gekommen ist. Plötzlich, wie eine Erleuchtung, von gestern auf heute. Passen Sie auf, ich werde noch ein gutes Medium. Morgen werde ich anfangen, mir andere Tricks auszudenken.«
      Steiner lachte. »Kommen Sie, trinken wir einen Schnaps auf das freudige Ereignis.«
      Er holte eine Flasche Marillengeist und schenkte ein. »Prosit, Goldbach!«
      »Prosit!«
      Goldbach verschluckte sich und stellte das Glas nieder. »Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich bin das nicht mehr gewohnt. Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich jetzt gern gehen.«
      »Aber natürlich! Wir sind ja fertig hier. Wollen Sie nicht wenigstens Ihr Glas noch austrinken?«
      »Ja, gern.« Goldbach trank gehorsam.
      Steiner gab ihm die Hand. »Und üben Sie nicht zu viele Tricks. Sonst finde ich vor lauter Raffinement nichts mehr.«
      »Nein. Nein.«
      Goldbach ging rasch die Allee hinunter zur Stadt. Er fühlte sich leicht, als wäre eine schwere Last von ihm abgefallen. Aber es war eine Leichtigkeit ohne Freude … als wären seine Knochen voll Luf und sein Wille aus Gas, nicht mehr lenkbar und jedem Winde preisgegeben.
      »Ist meine Frau da?« fragte er das Mädchen an der Tür der Pension.
      »Nein.« Das Mädchen fing an zu lachen.
      »Weshalb lachen Sie denn?« fragte Goldbach befremdet.
      »Warum soll ich nicht lachen? Ist es verboten zu lachen?«
      Goldbach sah sie abwesend an. »So meine ich das nicht«, murmelte er. »Lachen Sie nur.«
      Er ging den schmalen Korridor entlang in sein Zimmer und horchte nach nebenan. Er hörte nichts. Sorgfältig bürstete er seine Haare und seinen Anzug; dann klopfe er an die Verbindungstür, obschon das Mädchen gesagt hatte, seine Frau sei nicht da. Vielleicht ist sie inzwischen gekommen, dachte er. Vielleicht hat das Mädchen sie nicht gesehen. Er klopfe noch einmal. Niemand antwortete. Er drückte vorsichtig die Klinke herunter und trat ein. Das Licht am Spiegel brannte. Er starrte auf das Licht wie ein Schiffer auf einen Leuchtturm. Sie wird gleich wiederkommen, dachte er. Sonst würde das Licht nicht brennen.
      Er wußte schon, irgendwo in seinen lufleichten Knochen, in dem grauen Aschengewirr seiner Adern, daß sie nicht wiederkommen würde. Er wußte es unterhalb seiner Gedanken, aber sein Kopf hielt mit dem Eigensinn der Angst wie an einem Balken, der ihn vor

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