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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Vogt mit einer Stimme voller Trauer und Ironie.
      Kern sah ihn überrascht an.
      Vogt nickte. »Das ist der Platz, wo seit Jahren über unser Schicksal beraten wird. Ob man uns Ausweispapiere geben und uns wieder zu Menschen machen soll oder nicht.«
      Ein offener Cadillac löste sich aus der Reihe der Automobile und glitt der Ausfahrt zu. Eine Anzahl eleganter, jüngerer Leute saß darin, darunter ein sehr schönes Mädchen in einem Nerzmantel. Sie lachten und winkten einem zweiten Wagen zu und verabredeten ein Frühstück am See.
      »Ja«, sagte Vogt nach einer Weile. »Verstehen Sie nun, weshalb es so lange dauert?« – »Ja«, erwiderte Kern.
      »Hoffnungslos, was?«
      Kern hob die Schultern. »Ich glaube nicht, daß die es sehr eilig haben.« Ein Pförtner kam heran und musterte Kern und Vogt mißtrauisch. »Suchen Sie jemand?«
    Kern schüttelte den Kopf.
    »Was möchten Sie denn?« fragte der Pförtner.
      Vogt sah Kern an. In seinen Augen blinkte ein müder Funken Spott auf. »Nichts«, sagte er dann zu dem Pförtner. «Wir sind nur Touristen. Einfache Wanderer auf Gottes Erde.«
      »Dann ist es wohl besser, Sie gehen weiter«, sagte der Pförtner, dem Gedanken an verrückte Anarchisten durch den Kopf schossen.
      »Ja«, sagte Vogt. »Das ist wohl besser.«
      In der Rue de Montblanc sahen sie sich die Auslagen der Geschäfe an. Vor einem Juwelierladen blieb Vogt stehen. »Ich will mich hier verabschieden.«
      »Wohin wollen Sie diesmal?« fragte Kern.
      »Nicht mehr weit. Ich gehe in dieses Geschäf.«
      Kern blickte verständnislos durch die Scheibe der Auslage, in der auf grauem Samt Brillanten, Rubine und Smaragden ausgestellt waren.
      »Ich glaube, Sie werden kein Glück haben«, sagte er. »Juweliere sind bekannt hartherzig. Vielleicht, weil sie dauernd mit Steinen umgehen. Sie geben nie etwas.«
      »Ich will nichts haben. Ich will nur etwas stehlen.«
      »Was?« Kern sah Vogt zweifelnd an. »Meinen Sie das im Ernst? Damit werden Sie nicht weit kommen, so wie Sie jetzt sind.«
      »Das will ich auch nicht. Deshalb tue ich es ja.«
      »Das verstehe ich nicht«, sagte Kern.
      »Sie werden es gleich verstehen. Ich habe es mir genau überlegt. Es ist die einzige Möglichkeit für mich, über den Winter zu kommen. Ich bekomme mindestens ein paar Monate dafür. Ich habe keine Wahl mehr. Ich bin ziemlich kaputt. Noch ein paar Wochen Grenze geben mir den Rest. Ich muß es tun.«
      »Aber …«, begann Kern.
      »Ich weiß alles, was Sie sagen wollen.« Vogts Gesicht fiel plötzlich zusammen, als wären die Fäden gerissen, die es gehalten hatten. »Ich kann nicht mehr …«, murmelte er. »Leben Sie wohl.«
      Kern sah, daß es vergeblich war, noch etwas zu sagen. Er drückte die schwache Hand Vogts. »Hoffentlich erholen Sie sich bald.«
      »Ja, hoffentlich. Das Gefängnis hier ist ganz gut.« Vogt wartete, bis Kern ein Stück weitergegangen war. Dann betrat er das Geschäf. Kern blieb an der Straßenecke stehen und beobachtete den Eingang, indem er tat, als warte er auf die elektrische Bahn. Nach kurzer Zeit sah er einen jungen Mann aus dem Geschäf stürzen und bald darauf mit einem Polizisten zurückkehren. Hoffentlich hat er nun Ruhe, dachte er und ging weiter.

    STEINER FAND KURZ hinter Wien ein Auto, das ihn bis zur Grenze mitnahm. Er wollte nicht riskieren, seinen Paß österreichischen Zollbeamten vorzuzeigen – deshalb stieg er ein Stück vor der Grenze aus und ging den Rest des Weges zu Fuß. Gegen zehn Uhr abends meldete er sich am Zollamt. Er erklärte, gerade aus der Schweiz herübergeschoben worden zu sein.
      »Schön«, sagte ein alter Zollbeamter mit einem Kaiser-FranzJoseph-Bart. »Das kennen wir. Morgen früh schicken wir Sie zurück. Setzen Sie sich nur irgendwohin.«
      Steiner setzte sich draußen vor die Zollbude und rauchte. Es war sehr ruhig. Der Beamte, der gerade Dienst hatte, döste vor sich hin. Nur ab und zu fuhr ein Auto durch. Ungefähr eine Stunde später kam der Beamte mit dem Kaiserbart heraus. »Sagen Sie«, fragte er Steiner: »Sind Sie Österreicher?«.
      Steiner war sofort in Alarm. Er hatte seinen Paß in seinen Hut eingenäht. Wie kommen Sie darauf«, sagte er ruhig. »Wenn ich Österreicher wäre, wäre ich doch kein Emigrant.«
      Der Beamte schlug sich vor die Stirn, daß sein silberner Bart wackelte. »Richtig! Richtig! Was man so manchmal alles vergißt! Ich fragte Sie nur, weil ich dachte,

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