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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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fuhr er mit einem Beamten mit der Straßenbahn nach Burgfelden. Sie kamen im Dunkel an einem jüdischen Friedhof vorbei. Dann passierten sie eine Ziegelei und bogen von der Chaussee ab. Nach einiger Zeit blieb der Beamte stehen. »Hier weiter – immer geradeaus.«
      Kern ging weiter. Er wußte ungefähr, wo er war, und hielt sich in der Richtung auf St. Louis. Er versteckte sich nicht; es war ihm gleich, ob man ihn sofort faßte.
      Er verfehlte die Richtung. Erst gegen Morgen kam er in St. Louis an. Er meldete sich sofort bei der französischen Polizei und erklärte, nachts von Basel herübergeschoben worden zu sein. Er mußte vermeiden, daß man ihn ins Gefängnis steckte. Das konnte er nur, wenn er sich stets am selben Tage bei der Polizei oder beim Zoll meldete. Dann war er nicht strafar, und man konnte ihn nur zurückschicken.
      Die Polizei behielt ihn tagsüber in Haf. Abends schickte sie ihn zum Grenzzollamt.
      Es waren zwei Zollbeamte da. Einer saß an einem Tisch und schrieb. Der andere hockte auf einer Bank neben dem Ofen. Er rauchte Zigaretten aus schwerem algerischem Tabak und musterte Kern von Zeit zu Zeit.
      »Was haben Sie in Ihrem Koffer?« fragte er nach einer Weile.
      »Ein paar Sachen, die mir gehören.«
      »Machen Sie ihn mal auf.«
      Kern öffnete den Deckel. Der Zöllner stand auf und kam faul heran. Dann beugte er sich interessiert über den Koffer. »Toilettewasser, Seife, Parfüm! Sieh an – haben Sie das alles aus der Schweiz mitgebracht?«
      »Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie das alles selbst gebrauchen – für ihren persönlichen Bedarf?«
      »Nein. Ich habe damit gehandelt.«
      »Dann müssen Sie es verzollen!« erklärte der Beamte. »Packen Sie es aus! Diesen Kram da«, er zeigte auf die Nadeln, Schnürsenkel und die andern kleinen Sachen, »will ich Ihnen erlassen.«
      Kern glaubte, er träume. »Verzollen?« frage er. »Ich soll etwas verzollen?«
      »Selbstverständlich! Sie sind doch kein diplomatischer Kurier, was? Oder dachten Sie, ich wollte die Flaschen kaufen? Sie haben Zollgut nach Frankreich gebracht. Los, ’raus damit jetzt!«
      Der Beamte griff nach einem Zolltarif und rückte eine Waage heran.
      »Ich habe kein Geld«, sagte Kern.
      »Kein Geld?« Der Beamte steckte die Hände in die Hosentaschen und wiegte sich in den Knien. »Gut, dann werden die Sachen eben beschlagnahmt. Geben Sie sie her.«
      Kern blieb auf dem Boden hocken und hielt seinen Koffer fest. »Ich habe mich hier gemeldet, um zurück in die Schweiz zu gehen. Ich brauche nichts zu verzollen.«
    »Sieh mal an! Sie wollen mich wohl noch belehren, was?«
      »Laß den Jungen doch in Ruhe, François!« sagte der Zöllner, der am Tisch saß und schrieb.
      »Ich denke gar reicht daran! Ein Boche, der alles besser weiß, wie die ganze Bande drüben! Los, ’raus mit den Falschen!«
      »Ich bin kein Boche!« sagte Kern.
      In diesem Augenblick trat ein dritter Beamter ein. Kern sah, daß er einen höheren Rang hatte als die beiden andern. »Was gibt’s hier?« fragte er kurz.
      Der Zöllner erklärte, was los war. Der Inspektor betrachtete Kern. »Haben Sie sich sofort bei der Polizei gemeldet?« fragte er.
      »Ja.«
      »Und Sie wollen zurück in die Schweiz?«
      »Ja. Deshalb bin ich ja hier.«
      Der Inspektor dachte einen Augenblick nach. »Dann kann er nichts dafür«, entschied er. »Er ist kein Schmuggler. Er ist selbst geschmuggelt worden. Schickt ihn zurück und damit basta.«
      Er verließ den Raum. »Siehst du, François«, sagte der Zöllner, der am Tisch saß. »Wozu regst du dich immer so auf? Es schadet nur deiner Galle.«
      François erwiderte nichts. Er starrte Kern ängstlich an. Kern starrte zurück. Es fiel ihm plötzlich ein, daß er französisch gesprochen hatte und Franzosen verstanden hatte, und er segnete im geheimen den russischen Professor aus dem Gefängnis in Wien.

    AM NÄCHSTEN MORGEN war er wieder in Basel. Er änderte jetzt seine Taktik. Er ging nicht sofort morgens wieder zur Polizei. Es konnte ihm nicht viel passieren, wenn er tagsüber in Basel blieb und sich erst abends meldete. Für Basel aber hatte er die Adres senliste Binders. Es war zwar der von Emigranten überlaufenste Platz der Schweiz, aber er beschloß trotzdem, zu versuchen, etwas zu verdienen.
      Er fing mit den Pastoren an. Es war ziemlich sicher, daß sie ihn nicht denunzierten. Beim ersten wurde er sofort hinausgeworfen;

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