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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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sich nicht in Ihrer Arbeit stören. Ich kann etwas schlafen.«
      »Ich habe nichts vor«, sagte Ruth. »Ich lerne nur gerade strikken. Das kann ich hier auch. Ich habe mein Strickzeug mitgebracht.«
      »Es gibt angenehmere Dinge, als bei einer Kranken zu sitzen«, sagte die Frau müde.
      »Sicher. Aber es ist doch besser, als allein zu sitzen.«
      »Das sagen alle immer, um einen zu trösten«, murmelte die Frau. »Ich weiß, Kranke will man immer trösten. Sagen Sie doch ruhig frei heraus, daß es Ihnen unangenehm ist, bei einer unbekannten, schlechtgelaunten Kranken zu sitzen, und daß Sie es nur tun, weil mein Mann Sie überredet hat.«
      »Das ist richtig«, erwiderte Ruth. »Ich habe auch gar nicht die Absicht, Sie zu trösten. Aber ich bin froh, einmal mit jemand reden zu können.«
      »Sie können doch ausgehen!« sagte die Kranke.
      »Das tue ich nicht gern.«
      Ruth sah auf, weil keine Antwort kam. Sie blickte in ein fassungsloses Gesicht. Die Kranke hatte sich aufgestützt und starrte sie an, und plötzlich stürzten ihr die Tränen wie Sturzbäche aus den Augen. Das Gesicht war in einer Sekunde wie überschwemmt. »Mein Gott«, schluchzte sie, »das sagen Sie so einfach – und ich –, wenn ich nur einmal auf die Straße gehen könnte …«
      Sie fiel in die Kissen zurück. Ruth war aufgestanden. Sie sah die grau-weißen Schultern zucken, sie sah das armselige Bett im staubigen Nachmittagslicht, und sie sah dahinter die sonnige,, klare Straße, die Häuser mit den kleinen Eisenbalkonen, und groß über den Dächern eine riesige leuchtende Flasche – die Reklame für den Aperitif Dubonnet, die sinnlos bereits im Nachmittag glühte – und es erschien ihr einen Augenblick lang, als wäre das alles weit weg, auf einem anderen Planeten.
      Die Frau hörte auf zu weinen. Sie richtete sich langsam auf. »Sie sind noch da?« fragte sie.
      »Ja.«
      »Ich bin hysterisch und nervös. Ich habe manchmal so Tage. Bitte seien Sie mir nicht böse.«
      »Nein. Ich war gedankenlos, das war alles.«
      Ruth setzte sich wieder neben das Bett. Sie legte das Muster des
    Pullovers, das sie mitgebracht hatte, vor sich hin und begann, es weiter zu kopieren. Sie sah die Kranke nicht an. Sie wollte das fassungslose Gesicht nicht noch einmal sehen. Ihre eigene Gesundheit erschien ihr prahlerisch dagegen.
      »Sie halten die Nadeln nicht richtig«, sagte die Kranke nach einer Weile. »Sie kommen so viel langsamer vorwärts. Sie müssen das anders machen.«
      Sie nahm die Nadeln und zeigte es Ruth. Dann nahm sie ihr das gestrickte Stück aus der Hand und betrachtete es. »Hier fehlt eine Masche«, erklärte sie. »Wir müssen das wieder aufmachen. Sehen Sie, so.«
      Ruth blickte auf. Die Kranke lächelte sie an. Ihr Gesicht war jetzt aufmerksam und gesammelt und ganz mit der Arbeit beschäfigt. Es zeigte nichts mehr von dem Ausbruch kurz vorher. Die blassen Hände arbeiteten leicht und schnell.
      »So«, sagte sie eifrig, »nun versuchen Sie es einmal.«
      Brose kam abends zurück. Das Zimmer war dunkel. Im Fenster stand nur der apfelgrüne Abendhimmel und die rotleuchtende, riesige Flasche Dubonnet. »Lucie?« fragte er in das Dunkel hinein.
      Die Frau im Bett rührte sich, und Brose sah jetzt ihr Gesicht. Es war sanf gerötet durch den Widerschein der Lichtreklame – als wäre ein Wunder geschehen und sie plötzlich gesund geworden.
      »Hast du geschlafen?« fragte er.
      »Nein. Ich liege nur so.«
      »Ist Fräulein Holland schon lange fort?«
      »Nein. Erst ein paar Minuten.«
      »Lucie.« Er setzte sich vorsichtig auf den Rand des Bettes.
      »Mein Lieber.« Sie strich über seine Hand. »Hast du etwas erreicht?«
    »Noch nicht, aber es wird schon kommen.«
      Die Frau lag eine Zeitlang und schwieg. »Ich bin eine solche Last für dich, Otto«, sagte sie dann.
      »Wie kannst du das sagen, Lucie! Was sollte ich machen, wenn ich dich nicht hätte?«
      »Du wärest frei. Da könntest du tun, was du wolltest. Du könntest auch nach Deutschland zurückgehen und arbeiten.«
      »So?«
      »Ja«, sagte sie, »laß dich von mir scheiden! Man wird es dir drüben sogar hoch anrechnen, daß du es getan hast.«
      »Der Arier, der sich auf sein Blut besonnen hat und sich von der Jüdin hat scheiden lassen, wie?« fragte Brose.
      »So ähnlich nennen sie es wohl. Sie haben doch sonst nichts gegen dich, Otto.«
      »Nein, aber ich habe was gegen

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