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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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sie.«
      Brose lehnte den Kopf gegen den Bettpfosten. Er dachte daran, wie sein Chef zu ihm in das Zeichenbüro gekommen war und lange herumgeredet hatte von den Zeiten, von seiner Tüchtigkeit, und wie schade es sei, daß man ihm kündigen müsse, nur weil er eine jüdische Frau habe. Er hatte seinen Hut genommen und war gegangen. Acht Tage später hatte er seinem Hausportier, der gleichzeitig Blockwart und Parteispitzel war, die Nase blutiggeschlagen, weil er seine Frau als Judensau bezeichnet hatte. Das wäre beinahe schlecht ausgegangen. Zum Glück hatte sein Anwalt dem Portier staatsfeindliche Reden beim Bier nachweisen können; darauf verschwand der Portier aus dem Hause. Aber die Frau traute sich nicht mehr auf die Straße; sie wollte nicht mehr von uniformierten Gymnasiasten angerempelt werden. Brose fand keine Stellung wieder. Da waren sie abgereist nach Paris. Die Frau war unterwegs krank geworden.
      Der apfelgrüne Himmel vor dem Fenster verlor seine Farbe.
      Er wurde staubig und dunkler. »Hast du Schmerzen gehabt, Lucie?« fragte Brose.
      »Nicht sehr. Ich bin nur furchtbar müde. So von innen.«
      Brose strich ihr über das Haar. Es leuchtete in kupfernen Reflexen unter dem Licht der Dubonnet-Reklame. »Du wirst bald wieder aufstehen können.«
      Die Frau bewegte langsam den Kopf unter seiner Hand. »Was mag es nur sein, Otto? Ich habe nie etwas Derartiges gehabt. Und es dauert schon Monate.«
      »Irgend etwas. Nichts Schlimmes. Frauen haben of irgend etwas.«
      »Ich glaube, ich werde nie mehr gesund«, sagte die Frau plötzlich trostlos.
      »Du wirst bestimmt gesund. Sogar sehr bald. Du mußt nur Mut haben.«
      Draußen kroch die Nacht über die Dächer. Brose saß still, den Kopf immer noch an den Bettpfosten gelehnt. Sein tagsüber versorgtes und ängstliches Gesicht wurde klar und friedlich im undeutlichen letzten Licht.
      »Wenn ich nur nicht eine solche Last für dich wäre, Otto.«
      »Ich liebe dich, Lucie«, sagte Brose leise, ohne seine Haltung zu ändern.
      »Eine kranke Frau kann man nicht lieben.«
      »Eine kranke Frau liebt man doppelt. Sie ist eine Frau und ein Kind dazu.«
      »Das ist es ja!« Die Stimme der Frau wurde eng und klein. »Ich bin nicht einmal das! Nicht einmal deine Frau. Selbst das hast du nicht bei mir. Ich bin nur eine Last, weiter nichts!«
      »Ich habe dein Haar«, sagte Brose, »dein geliebtes Haar!« Er beugte sich vor und küßte ihr Haar. »Ich habe deine Augen.« Er küßte ihre Augen. »Deine Hände.« Er küßte ihre Hände. »Und ich habe dich. Deine Liebe. Oder liebst du mich nicht mehr?«
      Sein Gesicht war dicht über dem ihren. »Liebst du mich nicht mehr?« fragte er.
      »Otto …«, murmelte sie schwach und schob ihre Hand zwischen ihre Brust und ihn.
      »Liebst du mich nicht mehr?« fragte er leise. »Sag es! Ich kann verstehen, daß man einen untüchtigen Mann nicht mehr liebt, der nichts zu verdienen versteht. Sag es nur gleich, du Geliebte, Einzige«, sagte er drohend in das verfallene Gesicht hinein.
      Ihre Tränen flossen plötzlich leicht, und ihre Stimme war weich und jung. »Liebst du mich denn wirklich noch, Otto?« fragte sie mit einem Lächeln, das ihm das Herz zerriß.
      »Muß ich dir das jeden Abend wiederholen? Ich liebe dich so, daß ich eifersüchtig bin auf das Bett, in dem du liegst. Du solltest in mir liegen, in meinem Herzen und in meinem Blut!«
      Er lächelte, damit sie es sehen sollte, und beugte sich wieder über sie. Er liebte sie, und sie war alles, was er hatte – aber trotzdem hatte er of einen unerklärlichen Widerwillen dagegen, sie zu küssen. Er haßte sich deswegen – er wußte, woran sie litt, und sein gesunder Körper war einfach stärker als er. Aber jetzt, in dem barmherzigen, warmen Widerschein der Aperitifreklame, schien dieser Abend ein Abend vor Jahren zu sein – jenseits der finsteren Gewalt der Krankheit –, ein warmer und trostvoller Widerschein, wie eben dieses rote Licht von den Dächern gegenüber.
      »Lucie«, murmelte er.
      Sie legte ihre nassen Lippen auf seinen Mund. So lag sie still und vergaß eine Weile ihren gequälten Körper, in dem gespenstisch und lautlos die Krebszellen wucherten und unter dem nebligen Griff des Todes langsam die Gebärmutter und die Eierstöcke wie müde Kohlen zu grauer, gestaltloser Asche zerfielen.
    KERN UND RUTH schlenderten langsam über die Champs-Elysées. Es war Abend. Die Schaufenster

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