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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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wußte, daß der Weg nachher noch lang sein würde, und versuchte zu schlafen.
      »Wir kommen ’rüber«, hörte er den blassen Mann sagen, »du wirst sehen, Anna, dann wird alles besser.«
      Die Frau gab keine Antwort.
      »Bestimmt kommen wir ’rüber«, begann der Mann wieder, »ganz bestimmt! Weshalb sollten sie uns nicht ’rüberlassen?«
      »Weil sie uns nicht haben wollen«, erwiderte die Frau.
      »Aber wir sind doch Menschen …«
      Du armer Narr, dachte Kern. Er hörte den Mann undeutlich weitermurmeln; dann schlief er ein.
      Er erwachte, als der Zollbeamte kam, um sie abzuholen. Sie gingen über die Felder und kamen zu einem Laubwald, der massig wie ein schwarzer Block vor ihnen im Dunkel lag.
      Der Beamte blieb stehen. »Folgen Sie diesem Fußweg und halten Sie sich nach rechts. Wenn Sie die Straße erreicht haben, wieder nach links. Alles Gute.«
      Er verschwand in der Nacht.
      Die vier standen unentschlossen. »Was sollen wir nun machen?« fragte die Frau. »Weiß einer den Weg?«
      »Ich werde vorangehen«, sagte Kern. »Ich war vor einem Jahr schon einmal hier.«
      Sie tasteten sich durch das Dunkel. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Das Gras war naß und streife unsichtbar und fremd über ihre Schuhe. Dann kam der Wald mit seinem großen Atem und nahm sie auf.
      Sie gingen lange Zeit. Kern hörte die andern hinter sich. Plötzlich blitzten elektrische Lampen vor ihnen auf, und eine grobe Stimme rief: »Halt! Stehenbleiben!«
      Kern brach mit einem Sprung seitlich aus. Er rannte ins Dunkel, stieß gegen Bäume, tastete sich weiter, durch ein Brombeergestrüpp, und warf seinen Koffer hinein. Hinter sich hörte er laufen. Er drehte sich um. Es war die Frau. »Verstecken Sie sich!« flüsterte er. »Ich klettere hier ’rauf!«
      »Mein Mann … oh, dieser …«
      Kern kletterte rasch einen Baum hinauf. Er fühlte das weiche, rauschende Laub unter sich und hockte sich in eine Astgabel. Unten stand regungslos die Frau; er konnte sie nicht sehen, er fühlte nur, daß sie da stand.
      Aus der Ferne hörte er den alten Juden etwas sagen.
      »Das ist mir wurscht«, erwiderte die grobe Stimme dagegen. »Ohne Paß kommen Sie nicht durch, basta!«
      Kern lauschte. Nach einer Weile hörte er auch die leise Stimme des anderen Mannes, der dem Gendarmen antwortete. Sie hatten also beide erwischt. Im selben Augenblick raschelte es unter ihm. Die Frau murmelte etwas und ging zurück.
      Eine Weile blieb es ruhig. Dann huschte der Lichtschein der Taschenlampe zwischen den Bäumen umher. Schritte kamen näher. Kern drückte sich an den Stamm. Er war gut gedeckt durch das volle Laub unter ihm. Plötzlich hörte er die harte, unbeherrschte Stimme der Frau. »Hier muß er sein! Er ist auf einen Baum geklettert, hier …«
      Der Lichtschein glitt nach oben, »’runterkommen!« schrie die grobe Stimme. »Sonst wird geschossen!«
      Kern überlegte einen Moment. Es hatte keinen Zweck. Er kletterte herunter. Die Taschenlampen leuchteten ihm grell ins Gesicht. »Paß?«
      »Wenn ich einen Paß hätte, war’ ich da nicht hinaufgeklettert.«
      Kern sah die Frau an, die ihn verraten hatte. Sie war aufgelöst und fast nicht bei Sinnen. »Das möchten Sie wohl!« zischte sie ihn an. »Ausreißen, und wir sollen hierbleiben! Alle sollen hierbleiben!« schrie sie. »Alle!«
      »Maul halten!« brüllte der Gendarm. »Zusammenstellen!« Er leuchtete die Gruppe an. »Wir sollten euch eigentlich ins Gefängnis bringen, das wißt ihr wohl! Unbefugter Grenzübertritt! Aber wozu euch erst noch füttern! Kehrt marsch! Zurück in die Tschechoslowakei. Aber merkt euch: das nächstemal wird sofort geschossen!«
      Kern suchte seinen Koffer aus dem Gestrüpp. Dann gingen die vier schweigend im Gänsemarsch zurück. Hinter ihnen gingen die Gendarmen mit den Taschenlampen. Es war gespenstisch, daß sie von ihren Gegnern nichts sahen als die weißen Kreise der Lampen; es waren nur Stimmen und Licht, die sie gefangen hatten und zurücktrieben.
      Die Lichtkreise blieben stehen. »Marsch, vorwärts in dieser Richtung!« befahl die grobe Stimme. »Wer wiederkommt, wird erschossen!«
      Die vier gingen weiter, bis das Licht hinter den Bäumen verschwand.
      Kern hörte hinter sich die leise Stimme des Mannes der Frau, die ihn verraten hatte. »Verzeihen Sie … sie war außer sich … entschuldigen Sie … es tut ihr ganz bestimmt jetzt schon leid …«
      »Das ist

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