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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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haben ihre Mutter und zwei Brüder sterben sehen. Da trif es sie nicht mehr so. Was of kommt, trif nicht mehr so.«
      »Oder noch mehr«, sagte Steiner.
      Moritz Rosenthal sah ihn aus seinen faltigen Augen an. »Wenn man sehr jung ist, nicht. Wenn man sehr alt ist, auch nicht mehr. Dazwischen, das ist die schlimme Zeit.«
      »Ja«, sagte Steiner. »Diese lausigen fünfzig Jahre dazwischen, die sind es.«
      Moritz Rosenthal nickte friedlich. »Gehen mich nichts mehr an, jetzt.« Er legte den Deckel auf den Topf. »Wir haben sie schon untergebracht«, sagte er. »Einen nimmt Mayer mit nach Rumänien. Der zweite kommt in ein Kinderasyl in Locarno. Ich kenne jemand da, der für ihn bezahlt. Der älteste bleibt vorläufig hier bei Bernstein …«
    »Wissen sie schon, daß sie sich trennen müssen?«
      »Ja. Auch das macht ihnen nicht viel. Sie halten es mehr für ein Glück.« Rosenthal wandte sich um. »Steiner«, sagte er, »ich kannte ihn seit zwanzig Jahren. Wie ist er gestorben? Ist er ’runtergesprungen?«
      »Ja.«
      »Man hat ihn nicht ’runtergeworfen?«
      »Nein. Ich war dabei.«
      »Ich hörte es in Prag. Da hieß es, sie hätten ihn ’runtergestoßen. Ich bin dann hergekommen. Nach den Kindern sehen. Hatte es ihm mal versprochen. Er war noch jung. Knapp sechzig. Dachte nicht, daß es so kommen würde. Aber er war immer etwas kopflos, seit Rachel tot ist.« Moritz Rosenthal blickte Steiner an. »Er hatte viele Kinder. Das ist of so bei Juden. Sie lieben Familie. Aber sie sollten eigentlich keine haben.« Er zog den Havelock um die Schultern, als fröre ihn, und sah plötzlich sehr alt und müde aus.
      Steiner holte ein Paket Zigaretten hervor. »Wie lange sind Sie schon hier, Vater Moritz?« fragte er.
      »Seit drei Tagen. Wurden an der Grenze einmal erwischt. Bin mit einem jungen Mann ’rübergekommen, den Sie kennen. Er erzählte mir von Ihnen. Kern hieß er.«
      »Kern? Ja, den kenne ich. Wo ist er?«
      »Auch hier irgendwo in Wien. Ich weiß nicht wo.«
      Steiner stand auf. »Ich will mal sehen, ob ich ihn nicht finde. Auf Wiedersehen, Vater Moritz, alter Wanderer. Weiß der Himmel, wo wir uns wiedersehen werden.«
      Er ging zu der Kammer, um sich von den Kindern zu verabschieden. Die drei saßen auf einer der Matratzen und hatten den Inhalt des Koffers vor sich ausgebreitet. Sorgfältig geordnet lagen die Garnrollen auf einem Häufchen; daneben die Schnürriemen, das Säckchen mit Schillingstücken und einige Pakete Nähseide. Die Wäsche, die Schuhe, der Anzug und die übrigen Sachen des alten Seligmann lagen noch im Koffer. Der älteste sah auf, als Steiner mit Moritz Rosenthal hereinkam. Unwillkürlich breitete er die Hände über die Dinge auf der Matratze. Steiner blieb stehen.
      Der Junge blickte Moritz Rosenthal an. Seine Wangen waren gerötet, und seine Augen glänzten. »Wenn wir das da verkaufen«, sagte er aufgeregt und wies auf die Sachen im Koffer, »werden wir noch ungefähr dreißig Schilling mehr haben. Wir können das ganze Geld anlegen und Stoffe dazu nehmen – Manchester, Buckskin und auch noch Strümpfe –, damit verdient man mehr. Ich fange morgen gleich an. Morgen um sieben Uhr fange ich an.« Er sah ernst und sehr gespannt den alten Mann an.
      »Gut!« Moritz Rosenthal streichelte ihm den schmalen Kopf. »Morgen um sieben Uhr fängst du an.«
      »Walter braucht dann nicht nach Rumänien«, sagte der Junge. »Er kann mir helfen. Wir kommen schon durch. Nur Max muß dann weg.«
      Die drei Kinder sahen Moritz Rosenthal an. Max, der jüngste, nickte. Er fand es richtig so.
      »Wir werden sehen. Wir sprechen nachher noch darüber.«
      Moritz Rosenthal begleitete Steiner zur Tür. »Keine Zeit zum Kummer«, sagte er. »Zuviel Not, Steiner.«
      Steiner nickte. »Hoffentlich erwischt man den Jungen nicht sofort …«
      Moritz Rosenthal schüttelte den Kopf. »Er wird schon aufpassen. Er weiß genug. Wir lernen früh.«

    STEINER GING ZUM Café Sperler. Er war lange nicht mehr dagewesen. Seit er den falschen Paß hatte, vermied er Plätze, wo er von früher her bekannt war.
      Kern saß an der Wand auf einem Stuhl. Er hatte die Füße auf seinen Koffer gestellt, den Kopf zurückgelehnt und schlief. Steiner setzte sich behutsam neben ihn; er wollte ihn nicht wecken. Etwas älter geworden, dachte er. Älter und reifer.
      Er sah sich im Lokal um. Neben der Tür hockte der Landgerichtsrat Epstein, ein paar Bücher und

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