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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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sagte Steiner. »Einen Koffer.«
      Er hatte plötzlich das Gefühl, daß er beobachtet wurde, und drehte sich rasch um.
      Die Tür zur Wohnung hinter ihm hatte sich lautlos geöffnet. Ein schmächtiger Mensch in Hemdsärmeln stand im Eingang. Steiner stellte den Koffer zu Boden.
      »Zu wem wollen Sie?« fragte der Mann in der Tür.
      Steiner sah ihn an. »Bernstein ist nicht da«, fügte der Mann hinzu.
      »Ich habe hier die Sachen des alten Seligmann«, sagte Steiner. »Seine Kinder sollen hier sein. Ich war dabei, wie er verunglückte.«
      Der Mann betrachtete ihn noch einen Augenblick. »Du kannst ihn ruhig ’reinlassen, Moritz«, rief er dann.
      Eine Kette rasselte, und ein Schlüssel knirschte. Die Tür zur Wohnung Bernsteins ging auf. Steiner spähte in das trübe Licht. »Was«, sagte er, »das ist doch nicht … aber natürlich, das ist Vater Moritz!«
      Moritz Rosenthal stand in der Tür. In der Hand hielt er einen hölzernen Kochlöffel. Um seine Schultern hing der Havelock. »Ich bin’s«, erwiderte er. »Aber wer … Steiner!« sagte er plötzlich herzlich und überrascht. »Ich hätte es mir denken sollen! Wahrhafig, meine Augen werden schlecht! Ich wußte, daß Sie in Wien sind. Wann haben wir uns das letztemal getroffen?«
      »Das ist schon ungefähr ein Jahr her, Vater Moritz.«
      »In Prag?«
      »In Zürich.«
      »Richtig, in Zürich im Gefängnis. Nette Leute dort. Ich werfe das in der letzten Zeit etwas durcheinander. War vor einem halben Jahr erst wieder in der Schweiz. Basel. Vorzügliche Kost dort; leider keine Zigaretten wie im Stadtgefängnis von Locarno. Hatte da sogar einen Busch Kamelien in der Zelle. Tat mir leid, weg zu müssen. Mailand war kein Vergleich dagegen.« Er hielt inne. »Kommen Sie ’rein, Steiner. Wir stehen da wie alte Raubmörder auf dem Korridor und tauschen Erinnerungen aus.«
      Steiner trat ein. Die Wohnung bestand aus einer Küche und einer Kammer. Sie enthielt ein paar Stühle, einen Tisch, einen Schrank und zwei Matratzen mit Decken. Auf dem Tisch lag eine Anzahl Werkzeuge herum. Dazwischen standen billige Weckuhren und ein bemaltes Gehäuse mit Barockengeln, die eine alte Uhr hielten, deren Sekundenzeiger ein’ hin und her schwankender Tod mit einer Hippe war. Über dem Herd hing an einem gebogenen Arm eine Küchenlampe mit einem grünlichweißen, zerfledderten Gasbrenner. Auf den eisernen Ringen des Gaskochers stand ein großer Suppentopf und dampfe.
      »Ich koche den Kindern gerade etwas«, sagte Moritz Rosenthal. »Fand sie hier wie Mäuse in der Falle. Bernstein ist im Krankenhaus.«
      Die drei Kinder des toten Seligmann hockten neben dem Herd. Sie beachteten Steiner nicht. Sie starrten auf den Suppentopf. Der ältere war etwa vierzehn Jahre alt; der jüngste sieben oder acht.
      Steiner stellte den Koffer nieder. »Hier ist der Koffer eures Vaters«, sagte er.
      Die drei sahen ihn gleichzeitig an, fast ohne jede Bewegung. Sie wandten kaum die Köpfe.
      »Ich habe ihn noch gesehen«, sagte Steiner. »Er sprach von euch.«
      Die Kinder sahen ihn an. Sie antworteten nicht. Ihre Augen glitzerten wie rundgeschliffene schwarze Steine. Das Licht des Gasbrenners zischte. Steiner fühlte sich unbehaglich. Er hatte das Gefühl, etwas Warmes, Menschliches sagen zu müssen, aber alles, was ihm einfiel, erschien ihm albern und unwahr vor der Verlassenheit, die von den drei schweigenden Kindern ausging.
      »Was ist in dem Koffer?« fragte nach einer Zeitlang der älteste. Er hatte eine fahle Stimme und sprach langsam, hart und vorsichtig.
      »Ich weiß es nicht mehr genau. Verschiedene Sachen eures Vaters. Auch etwas Geld.«
      »Gehört er jetzt uns?«
      »Natürlich. Deshalb habe ich ihn ja gebracht.«
      »Kann ich ihn nehmen?«
      »Aber ja!« sagte Steiner erstaunt.
      Der Junge stand auf. Er war schmal, schwarz und groß. Langsam, die Augen fest auf Steiner gerichtet, näherte er sich dem Koffer. Mit einer raschen, tierhafen Bewegung griff er dann danach und sprang fast zurück, als fürchte er, Steiner würde ihm die Beute wieder entreißen. Er schleppte den Koffer sofort in die Kammer nebenan. Die andern beiden folgten ihm rasch, dicht aneinandergedrängt, wie zwei große schwarze Katzen.
      Steiner sah Vater Moritz an. »Na ja«, sagte er erleichtert. »Sie wußten es ja wohl schon länger …«
      Moritz Rosenthal rührte die Suppe durcheinander. »Es macht ihnen nicht mehr viel. Sie

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