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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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trinken.«
      Die Wirtin erschien so schnell, als hätte sie hinter der Tür gelauscht. Sie war rund, in schwarzen Samt gepreßt und hatte rote Backen und glänzende Kugelaugen. »Wir hätten einen Champagner«, sagte sie dienstfertig, »wie Zucker!«
      »Schnaps«, erwiderte Steiner, ohne sie anzusehen. »Zwetschgenwasser, Kirsch, Enzian, ganz egal.«
      Die beiden Frauen wechselten einen Blick. »Kirsch«, sagte Elvira. »Von dem guten auf dem obersten Brett. Kostet zehn Schilling, Schatz.«
      Steiner gab ihr das Geld. »Wo hast du die Haut her?« fragte er.
      »Kein Wimmerl, was?« Elvira drehte sich vor ihm hin und her. »Das findest du nur bei Rothaarigen.«
      »Ja«, sagte Steiner, »das habe ich vorhin nicht gesehen, daß du rote Haare hast.«
      »Das kommt vom Hut, Liebling.« Elvira nahm der Wirtin die Flasche ab. »Trinken Sie einen mit, Frau Poschnigg?«
      »Wenn ich darf?« Die Wirtin setzte sich. »Gut haben Sie’s, Fräulein Elvira!« Sie seufzte. »Unsereins, eine arme Witwe … immer einsam …«
      Die arme Witwe kippte das Glas hinunter und goß sich sofort neu ein. »Gesundheit, fescher Herr!«
      Sie erhob sich und blitzte Steiner kokett an. »Alsdann besten Dank! Und viel Vergnügen.«
      »Bei der hast du Chancen, Schatz«, erklärte Elvira.
      »Gib mir mal das Wasserglas da her«, sagte Steiner. Er goß es voll und trank es aus.
      »Jesus!« Elvira blickte ihn besorgt an. »Du wirst doch nichts kaputtschlagen, Liebling? Die Wohnung ist kostbar, verstehst du? So was ist teuer, Schatzi!«
      »Setz dich hierher«, sagte Steiner. »Neben mich.«
      »Wir hätten lieber ’rausfahren sollen. In den Prater oder in den Wald.«
      Steiner hob den Kopf. Er spürte den Kirsch mit weichem Hämmern hinter seiner Stirn gegen die Augäpfel schlagen. »In den Wald?« fragte er.
      »Ja, in den Wald. Oder in ein Kornfeld, jetzt im Sommer.«
      »Ein Kornfeld – im Sommer? Wie kommst du auf ein Kornfeld?«
      »Wie man eben so drauf kommt«, plapperte Elvira eifrig und besorgt. »Weil halt Sommer ist, Schatz! Da geht man gern in ein Kornfeld, weißt du?«
      »Versteck die Flasche nicht, ich hau’ dir deine Bude nicht kaputt. Ein Kornfeld sagst du … im Sommer?«
      »Natürlich im Sommer, Schatz, im Winter ist’s ja kalt.«
      Steiner goß sein Glas voll. »Verdammt, wie du riechst …«
      »Rothaarige riechen alle ähnlich, Schatzi.«
      Die Hämmer hämmerten schneller. Das Zimmer schwankte. »Ein Kornfeld …« sagte Steiner langsam und schwer, »und der Wind nachts …«
      »Komm jetzt ins Bett, Liebling, zieh dich aus …«
      »Mach das Fenster auf …«
      »Das Fenster ist ja offen, Schatzi. Komm, ich mach’ dich glücklich!«
      Steiner trank. »Warst du mal glücklich?« fragte er und starrte auf den Tisch.
      »Natürlich, of.«
      »Ach, halt den Schnabel. Mach das Licht aus.«
      »Zieh dich doch erst aus.«
      »Mach das Licht aus.«
      Elvira gehorchte. Das Zimmer wurde dunkel. »Komm ins Bett, Schatz.«
      »Nein. Bett, nein. Bett ist was anderes. Verdammt! Bett, nein!«
      Steiner goß mit schwankender Hand Kirschwasser in sein Glas. Sein Kopf toste. Das Mädchen ging durchs Zimmer. Es kam am Fenster vorbei und blieb einen Augenblick stehen und blickte hinaus. Das schwache Licht der Laternen von draußen fiel über ihre dunklen Schultern. Hinter ihrem Kopf stand die Nacht. Sie hob eine Hand in ihr Haar … »Komm her«, sagte Steiner heiser.
      Sie drehte sich um und kam weich und lautlos auf ihn zu. Sie kam, reif wie ein Kornfeld, dunkel und unerkennbar, mit dem Geruch und der Haut von tausend Frauen und einer …
      »Marie«, murmelte Steiner.
      Das Mädchen lachte tief und zärtlich. »Da sieht man, wie besoffen du bist, Schatz … ich heiß’ doch Elvira …«

    Es gelang Kern, seine Aufenthaltserlaubnis noch um fünf
    Tage zu verlängern; dann wurde er ausgewiesen. Man gab
          ihm einen Freifahrtschein bis zur Grenze, und er fuhr zur Zollstation.
      »Ohne Papiere?« fragte der tschechische Beamte.
      »Ja.«
      »Gehen Sie ’rein. Es sind schon ein paar da. In ungefähr zwei Stunden ist die beste Zeit.«
      Kern betrat die Zollbude. Es waren noch drei Leute da – ein sehr blasser Mann mit einer Frau und ein alter Jude.
      »Guten Abend«, sagte Kern.
      Die anderen murmelten etwas.
      Kern stellte seinen Koffer ab und setzte sich. Er war müde und schloß die Augen. Er

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