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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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ersten. Sie hatten das große Mitleid der Welt. Wir haben nur noch das kleine. Man bedauert uns; aber wir sind lästig und unerwünscht.«
      Der Russe hob die Schultern. Dann reichte er die Flasche dem letzten Mann in der Zelle, der bisher schweigend dagesessen hatte. »Bitte, nehmen Sie doch auch einen Schluck.«
      »Danke«, sagte der Mann ablehnend. »Ich gehöre nicht zu Ihnen.«
      Alle sahen ihn an.
      »Ich besitze einen gültigen Paß, ein Vaterland. Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis.«
      Alle schwiegen. »Verzeihen Sie die Frage«, sagte der Russe nach einer Weile zögernd, »weshalb sind Sie denn dann hier?«
      »Wegen meines Berufes«, erwiderte der Mann hochmütig. »Ich
    bin kein windiger Flüchtling ohne Papiere. Ich bin ein anständiger Taschendieb und Falschspieler mit vollem Bürgerrecht.«
      Mittags gab es dünne Bohnensuppe ohne Bohnen. Abends dasselbe, nur hieß es diesmal Kaffee, und es gab ein Stück Brot dazu. Um sieben Uhr klapperte die Tür. Der Russe wurde abgeholt, wie er es vorausgesagt hatte. Er verabschiedete sich wie von alten Bekannten. »Ich werde in vierzehn Tagen ins Café Sperler schauen«, sagte er zu Steiner. »Vielleicht sind Sie dann schon dort und ich weiß schon etwas. Auf Wiedersehen!«
      Um acht Uhr war der Vollbürger und Falschspieler reif für den Anschluß. Er holte eine Schachtel Zigaretten hervor und ließ sie herumgehen. Alle rauchten. Die Zelle bekam durch die Dämmerung und die glühenden Zigaretten fast etwas Heimatliches. Der Taschendieb erzählte, daß man nur nachforsche, ob er im letzten halben Jahr einen Coup gemacht habe. Er glaube nicht, daß man etwas fände. Dann schlug er vor, ein Spiel zu machen und zauberte aus seinem Jackett ein Paket Karten.
      Es war dunkel geworden, und das elektrische Licht wurde nicht angezündet. Der Falschspieler war darauf vorbereitet. Er zauberte noch einmal – eine Kerze und Streichhölzer. Die Kerze wurde auf einen Mauervorsprung geklebt. Sie gab ein mattes, flackerndes Licht.
      Der Pole, das Poulet und Steiner rückten heran. »Spielen ohne Geld, nicht wahr?« sagte das Poulet.
      »Selbstverständlich.« Der Falschspieler lächelte.
      »Spielst du nicht mit?« fragte Steiner Kern.
      »Ich kann nicht Karten spielen.«
      »Mußt du lernen, Baby. Was willst du sonst abends machen?«
      »Morgen. Heute nicht.«
      Steiner drehte sich um. Das schwache Licht grub tiefe Furchen in sein Gesicht. »Ist was los mit dir?«
      Kern schüttelte den Kopf. »Nein. Nur etwas müde. Lege mich auf die Pritsche da.«
      Der Falschspieler mischte bereits die Karten. Er hatte eine knatternde, elegante Manier, sie ineinanderschießen zu lassen.
      »Wer gibt?« fragte das Poulet.
      Der Vollbürger reichte die Karten herum. Der Pole zog eine Neun, das Poulet eine Dame, Steiner und der Falschspieler jeder ein As.
      Der Falschspieler sah kurz auf. »Stechen.«
      Er zog. Wieder ein As. Er lächelte und gab das Paket an Steiner. Der warf nachlässig die unterste Karte des Spiels auf – das Kreuz-As.
      »So ein Zufall!« Das Poulet lachte.
      Der Falschspieler lachte nicht. »Woher kennen Sie den Trick?« fragte er Steiner betroffen. »Sind Sie aus der Branche?«
      »Nein, Amateur. Da freut einen die Anerkennung des Fachmannes doppelt.«
      »Es ist nicht das!« Der Falschspieler sah ihn an. »Der Trick stammt nämlich von mir.«
      »Ach so!« Steiner zerdrückte seine Zigarette. »Ich habe ihn in Budapest gelernt. Im Gefängnis vor meiner Ausweisung. Von einem gewissen Katscher.«
      »Katscher! Jetzt verstehe ich!« Der Taschendieb atmete auf. »Daher also! Katscher ist ein Schüler von mir. Sie haben das gut gelernt.«
      »Ja«, sagte Steiner, »man lernt allerhand, wenn man unterwegs ist.«
      Der Falschspieler übergab ihm das Spiel Karten und blickte prüfend in die Kerzenflamme. »Das Licht ist schlecht – aber wir spielen natürlich nur zum Vergnügen, meine Herren, nicht wahr? Ehrlich …«
    Kern legte sich auf die Pritsche und schloß die Augen. Er war voll von einer nebelhafen, grauen Traurigkeit. Seit dem Verhör morgens hatte er ununterbrochen an seine Eltern denken müssen; – seit langer Zeit zum erstenmal wieder. Er sah seinen Vater vor sich, als er von der Polizei zurückkam. Ein Konkurrent hatte ihn wegen staatsgefährlicher Reden bei der Gestapo denunziert, um sein kleines Laboratorium für medizinische Seifen, Parfüme und Toilettewasser zu

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