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Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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hinter dem Aufbau der Teke hervor. – »Ein Paket Parisiennes«, sagte Kern.
      Die Frau schob das Päckchen vor ihn hin. Dann griff sie in einen Kasten unter der Teke, holte Streichhölzer hervor und legte sie auf die Zigaretten. Es waren zwei Pakete, die anein-anderklebten. Die Frau sah es, löste sie voneinander und warf eins zurück in den Kasten. »Fünfzig Rappen«, sagte sie.
      Kern bezahlte. »Kann ich einmal telefonieren?« fragte er.
      Die Frau nickte. »Da links in der Ecke steht der Apparat.«
      Kern suchte im Telefonbuch die Nummer Neumann – es schien Hunderte von Neumanns in dieser Stadt zu geben. Endlich fand er den richtigen. Er hob den Hörer ab und nannte die Nummer. Die Frau blieb an der Teke stehen und beobachtete ihn. Kern drehte ihr ärgerlich den Rücken zu. Es dauerte lange, bis sich jemand meldete.
      »Kann ich mit Fräulein Holland sprechen?« fragte er in den schwarzen Trichter hinein.
    »Wer ist dort?«
    »Ludwig Kern.«
      Die Stimme im Telefon schwieg einen Augenblick. »Ludwig …«, sagte sie dann wie atemlos. »Du, Ludwig?«
      »Ja …« Kern fühlte plötzlich sein Herz hart schlagen, als wäre es ein Hammer. »Ja, bist du es, Ruth? Ich habe deine Stimme nicht erkannt. Wir haben ja noch nie miteinander telefoniert.«
      »Wo bist du denn? Von wo rufst du an?«
      »Ich bin hier. In Zürich. In einem Zigarettenladen.«
      »Hier?«
      »Ja, in derselben Straße wie du.«
      »Warum kommst du denn nicht her? Ist etwas passiert?«
      »Nein, nichts. Ich bin heute angekommen. Ich dachte schon, du wärst nicht mehr da. Wo können wir uns treffen?«
      »Hier! Komm her. Rasch! Weißt du das Haus? Es ist in der zweiten Etage.«
      »Ja, ich weiß. Aber geht es denn? Ich meine wegen der Leute, bei denen du wohnst?«
      »Es ist niemand hier. Ich bin allein. Alle sind fort über das Wochenende. Komm!«
      »Ja.«
      Kern legte den Hörer auf. Er sah sich abwesend um. Es schien nicht mehr derselbe Laden zu sein wie vorher. Dann ging er zur Teke zurück. »Was kostet das Gespräch?« fragte er.
      »Zehn Rappen.«
      »Nur zehn Rappen?«
      »Teuer genug.« Die Frau klaubte das Nickelstück auf. »Vergessen Sie Ihre Zigaretten nicht.«
      »Ach so … ja …«
      Kern trat auf die Straße. Ich will jetzt nicht laufen, dachte er. Wer läuf, ist verdächtig. Ich will mich zusammenhalten. Steiner würde auch nicht laufen. Ich will gehen. Niemand soll mir etwas anmerken. Aber ich kann schnell gehen. Ich kann sehr schnell gehen. Das ist ebenso rasch, als wenn ich laufe.
      Ruth stand auf der Treppe. Es war dunkel, und Kern konnte sie nur undeutlich sehen. »Nimm dich in acht!« sagte er heiser und eilig, »ich bin schmutzig! Meine Sachen sind noch am Bahnhof. Ich konnte mich nicht waschen und umziehen!«
      Sie erwiderte nichts. Sie stand vorgebeugt am Treppenabsatz und wartete auf ihn. Er lief die Stufen hinauf, und plötzlich war sie bei ihm, warm und wirklich, das Leben und mehr als das Leben.
      Sie lag still in seinem Arm. Er hörte sie atmen und fühlte ihr Haar. Er stand regungslos, und die undeutliche Dunkelheit um ihn herum schien zu schwanken. Dann merkte er, daß sie weinte. Er machte eine Bewegung. Sie schüttelte den Kopf an seiner Schulter, ohne ihn loszulassen. »Laß mich nur. Ich bin gleich durch.«
      Unten ging eine Tür. Kern drehte sich vorsichtig und fast unmerklich zur Seite, um die Treppe übersehen zu können. Er hörte Schritte. Dann klickte ein Schalter, und es wurde hell. Ruth schreckte auf. »Komm! Komm rasch herein!« Sie zog ihn zur Tür.

    SIE SASSEN IM Wohnzimmer der Familie Neumann. Es war das erstemal seit langer Zeit, daß Kern wieder in einer Wohnung war. Das Zimmer war bürgerlich und ohne viel Geschmack eingerichtet, mit gediegenen Mahagonimöbeln, einem modernen Perserteppich, ein paar mit Rips überzogenen Sesseln und einigen Lampen mit Schirmen aus farbiger Seide – aber Kern erschien es wie eine Vision des Friedens und eine Insel der Sicherheit. »Seit wann ist dein Paß abgelaufen?« fragte er.
      »Seit sieben Wochen, Ludwig.« Ruth nahm zwei Gläser und eine Flasche aus dem Büfett.
      »Hast du eine Verlängerung beantragt?«
      »Ja. Ich war auf dem Konsulat hier in Zürich. Sie haben es abgelehnt. Ich habe auch nichts anderes erwartet.«
      »Ich eigentlich auch nicht. Obschon ich immer noch auf irgendein Wunder gehof habe. Wir sind ja Staatsfeinde. Gefährliche Staatsfeinde.

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