Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
seit zwei Wochen nur noch heulen müsse und dass sie sicher auch während unserer Sitzung nur schluchzend reden könne, wenn sie mir erzählen würde, was in ihr vorginge. So begann sie zu schildern, was sie fühlte und dachte: über die Männer, das Leben, ihre weiblichen Ängste und Unzulänglichkeiten und ihren Status in ihrer Herkunftsfamilie als die Verrückte, die Seltsame, die seelisch Kranke. Nach jedem zweiten Satz stockte Annegret und vergewisserte sich verschüchtert, ob das denn nicht verrückt klingen würde, was sie da so von sich gäbe. Ich versicherte ihr immer wieder, dass ich selten eine Art, die Welt zu betrachten, für so wenig verrückt gehalten hätte wie die ihre.
Annegret schluchzte nicht. Irgendwann begann sie an diesem Morgen sogar zu lachen und zu sprudeln. Und das, obwohl sie mir von allen möglichen Ängsten und Unsicherheiten erzählte.
Schließlich sagte sie, sie habe sich lange nicht mehr so normal wie in diesem Gespräch gefühlt. »Ich glaube, ich bin nicht verrückt, ich brauche nur endlich den Mut, das zu sagen, was ich denke. Vor allem in meiner Familie ...« Wenige Tage später erfuhr ich, dass Annegret auf dringendes Anraten ihrer Familie in eine Tagesklinik eingeliefert worden war. Sie war gleich im Anschluss an unser Gespräch zu ihrer Familie gefahren und hatte dort erklärt, es gäbe vielleicht einen guten Grund, warum sie seit Tagen weinen würde und
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dass dies vielleicht gar nicht so beunruhigend sei. Daraufhin hatte man sie in ihrer Familie endgültig für verrückt gehalten.
Ich weiß nicht, was aus Annegret geworden ist. Aber ich weiß, dass diese Frau nicht verrückt war, als sie zu mir kam.
Annegret war eine von den unzähligen Frauen, die sich selbst, ihrer Intuition und ihren Gefühlen nicht trauen. Sie konnte in rationalen Gesprächen oft nichts entgegensetzen und fühlte sich unter ihren männlichen Kollegen oft fremd. Sie hatte körperliche Sehnsüchte nach Zärtlichkeit und Geliebtwerden, die wenig mit ihren realen sexuellen Erfahrungen zu tun hatten. Sie versuchte, ihre Gefühle mehr und mehr vor anderen zu verbergen, und wurde dementsprechend immer häufiger ungewollt von ihnen übermannt.
Annegret kam nie auf die Idee, dass ihre befremdlichen Gefühle ihr die richtigen Signale geben könnten. Sie kam nie auf die Idee, dass ihr Körper und ihre Seele, wenn sie etwas anderes brauchten, das für sie Richtige brauchten. Ihr fehlte der Mut, Nein zu sagen oder für ihre Empfindungen einzustehen.
Das alles führte dazu, dass Annegret sich langsam vom Leben zurückgezogen hatte. Dass sie sich nicht mehr für attraktiv hielt und ihrer Weiblichkeit misstraute. Mittlerweile hatte sie Hemmungen, sich mit Männern zu verabreden, und Angst vor weiteren sexuellen Begegnungen. Aber hinter alledem war Annegret voller Sehnsucht nach einer tiefen, erfüllenden und zärtlichen Beziehung zu einem Mann.
Frauen bleibt nichts anderes übrig, als zuallererst sich selbst wieder zu vertrauen. Wenn sie ihrem Herz, ihrem Instinkt und ihrem Körper endlich glauben, können sie sich
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den Männern wieder anvertrauen und diese lehren, wie wichtig und kostbar die weibliche Kraft ist. Ohne ihre wärmende, tragende und nährende Energie stirbt jedes Leben. Unseren Beziehungen, unserer Wirtschaft, unseren Kirchen und Religionen, unserer Erde und unseren Männern - allem fehlt in dieser Zeit diese macht- und zugleich hingebungsvolle weibliche Kraft.
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7. Kapitel
Wenn zwei sich streiten, nützt der
Dritte auch nichts
Ehealltag, Beziehungsroutine, Silberhochzeits-Flair: Alles ist schwer, träge, eintönig, leidenschaftslos. Da sitzen wir, kennen jede Regung unseres Partners. Kennen, den Verlauf der stetig weniger werdenden Dialoge im Voraus. Oder wir sprechen Dinge gar nicht mehr an, weil wir die unbefriedigende Antwort schon zu oft gehört haben. Wir spüren und hören Kritik an uns und unserem Verhalten, fühlen uns eingeschränkt oder nicht wahrgenommen.
Unzählige Male schon gab es von uns Versuche der Hinbewegung zu unserem Partner, die vor unsichtbaren Mauern endeten. Unzählige Male wollten wir Verbindung und wurden stattdessen durch Rückzug und Schweigen getrennt oder von Urteilen und Ansprüchen zurückgewiesen.
Natürlich teilen wir lieb gewonnene und liebenswerte Gewohnheiten miteinander. Vieles funktioniert blind, bei Wichtigem herrscht selbstverständliche Übereinkunft. Außerdem überkommen uns manchmal die alten Erinnerungen an die erste Zeit und
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