Liebe die bleibt
einem gut besuchten Café am Stachus , habe mir ein Glas Wasser, ein Kännchen Kaffee, ein Stück Kuchen gegönnt und hoffe, dass ich damit meine Schuldigkeit bei der Kellnerin getan habe und sie mich für ein paar Stunden in Ruhe lässt. Ich trinke meine Getränke sehr gemächlich, kaue gewissenhaft meinen Kuchen und behalte meine unmittelbare Umgebung im Auge. Mit einem aufgeschlossenen Lächeln, signalisiere ich Flirtbereitschaft. Ich will Interesse wecken, als attraktive Frau wahrgenommen, nicht nur unverbindlich angeguckt, sondern angesprochen werden. Aber das ist in einer Metropole wie München nicht ganz einfach. Die Menschen wirken aufgekratzt, freundlich, aber unverbindlich. Alle tun so, als hätten sie es nicht nötig, neue Kontakte zu knüpfen, als stünden sie über den Dingen. Alleinsein scheint ein Makel zu sein, den es mit allen Mitteln zu vertuschen gilt. Man lacht oder „säuft“ sich das Alleinsein weg. Wer in einer Stadt wie München einsam ist, ist selbst schuld, eine Niete, und solch ein Los will keiner ziehen. München ist eine zeitlose Stadt, sie versprüht Charme, giert nach Lebensfreude, duftet nach Erfolg und stinkt nach dem schönen Schein. Diese Stadt ist eine Falle, und zwar eine Lebensfalle. Wenn man einmal hineingetappt ist, gibt es kein Entrinnen mehr. Man ist zum Jungsein, Schönsein und Erfolgreichsein verdonnert. Mittelprächtige Männer mit blutjungen Frauen laufen nicht mehr die Kür, sondern die Pflicht. Frauen jenseits der Dreißig haben sich in alterslose Geschöpfe verwandelt. Aber wo sind die Alten, habe ich mich schon oft gefragt. Hat man die weggesperrt? Und wann ist man in München alt? Wann ist die Schmerzgrenze des Jugendwahns erreicht? Wenn man ein Gesicht wie eine Dreißigjährige hat und einen Rollator vor sich herschiebt, weil man das Geld für das künstliche Hüftgelenk noch nicht zusammengekratzt hat?
Oft beschleicht mich das unschöne Gefühl, den Rest meines Lebens allein bleiben zu müssen. In einer so großen Stadt, wo es vo r Singles nur so wimmelt, fühlt sich das Alleinsein an wie blanker Hohn. Alleinsein heißt: nicht reden, nicht lachen, nicht bevormundet werden, nicht streiten… kurz: nicht leben. Freiheit und Einsamkeit sind wie eineiige Zwillinge. Dabei gibt es genügend Männer. Ich kann sie überall sehen, hören, manchmal auch riechen. Wie Schiffe in voller Fahrt rauschen sie an einem vorbei. Wichtigtuerisch das iPhone ans Ohr geklemmt, die Finger über das Display wischend, hochkonzentriert das Antlitz auf den Monitor ihres Laptops gerichtet. Als hätten sie es nicht nötig, sich auf das Niveau herabzubegeben, eine Frau, die neben ihnen sitzt anzusprechen. Aber vielleicht sind sie auch gar nicht mehr in der Lage, ein persönliches Gespräch zu führen? Haben Angst, nicht die richtigen Worte zu finden? Es ist viel einfacher und aufregender, sich in eine Partnerbörse einzuloggen, sich ein geschöntes Profil zusammenzuzimmern, das Aufmerksamkeit erregt, und einen in dem Glauben bestärkt, etwas Besonderes zu sein. Die virtuelle Welt lässt es zu, sich so zu präsentieren, wie man gern sein möchte, ein Gefühl, das süchtig macht. Es lenkt von der Wahrheit ab. Menschen jenseits der dreißig schleppen so viele Enttäuschungen, unverarbeitete Erlebnisse und Erinnerungen mit sich herum, dass eine Beziehungsunfähigkeit geradezu Pflicht zu sein scheint. Wer sich auf keine Beziehung einlassen möchte, leidet angeblich unter Bindungsangst. Wer sich darauf einlässt, den plagen Verlustängste. Unverbindlichkeit scheint der einzige Ausweg aus der Misere zu sein.
Das WorldWideWeb – dein Freund und Helfer.
Während ich meinen Gedanken nachhänge, schweift mein Blick immer wieder zu einem jungen Mann, der am Nebentisch sitzt. Bereits seit einer geschlagenen Stunde sitzt er an seinem Platz und streichelt das iPhone, als wäre es seine Geliebte. Er ist dermaßen vertieft, dass er mich gar nicht wahrnimmt. Als er telefoniert, lädt er mich zum Mithören ein.
„Hallo, ja ich bin ’s, Heiko, dein Profil gefällt mir, du bist eine tolle Frau, genau mein Typ… wollen wir uns mal treffen? Ach, da wohnst du ja gar nicht weit weg von mir… okay mach einen Vorschlag… okay, dann bis morgen Abend, ich freu mich.“ Er schließt das Gespräch ab. „Tschakka!“ glaube ich verstanden zu haben. Ich behalte ihn im Auge. Er wählt eine weitere Nummer. „Hey Sabine, hier ist Rainer, wie geht es dir? Bist du wieder gesund? Ich habe mir schon Sorgen gemacht…
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