Liebe Hoch 5
Anfall, es war so weiß, als sei das Auto in Beton gegossen.
Sie meinte, das Gelächter der beiden könne man durch den Schnee, über die Landstraße bis in Jans Wohnung hören.
» Sie haben einen Geliebten?«, fragte Herbert Schmitz, als sei das der beste Witz, den er seit langem gehört hatte.
»Warum nicht?«, fragte Irina.
Frau Kowalski wandte sich zu ihr um und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. »Weil Sie zu jung sind, um einen Geliebten zu haben, Mädchen. Sie sind doch keine fünfundzwanzig.«
»Ich bin dreißig. Ich habe zwei Kinder. Und einen Mann.«
Herbert Schmitz drehte sich zu ihr um. »Ist Ihr Mann arbeitslos?«
Irina schloss die Augen. »Nein, ist er nicht. Er ist bei der Polizei.«
»Polizist?« Herberts Mundwinkel gingen anerkennend nach unten.
»Ja«, sagte sie. Es stimmte nicht ganz, aber sie hatte keine Lust auf lange Erklärungen.
Ottilie Kowalski schnalzte mit der Zunge. »Und Ihr Geliebter ?«, fragte sie. „Was macht der beruflich?“
»Er ist Künstler«, sagte Irina, und sie wusste, dass es trotzig klang. Sie hätte lieber gesagt, er sei Maler, aber Maler, das war man doch erst, wenn man Erfolg hatte. Außerdem gab es tatsächlich Leute, die meinten, man spreche von einem, der Wände strich.
Herbert schüttelte den Kopf. Er legte den Kopf in die Hände und schüttelte ihn weiter.
»Was ist?«, fragte Irina.
»Ich habe es bildlich vor mir!«, rief Herbert Schmitz und hob beide Hände. »Er malt Sie! Sie fühlen sich geschmeichelt. Den Kopf verdreht er Ihnen, der feine Geliebte, mit seinen Komplimenten. Und Sie wollen Ihren Mann, der Ihnen die Treue hält, einfach verlassen, wegen eines Künstlers !«
»Ich will ihn doch gar nicht verlassen«, sagte Irina. Nie im Leben. Milo hatte sie vor sieben Jahren gerettet. Das mit Jan fand in seinem Atelier statt. Nur für kurze Zeit, bis das Bild fertig war. Jan wusste das. Der Rest ihres Lebens gehörte Milo. Das hatte sie ihm versprochen.
Milo fuhr durch den Schneesturm. Er hatte die Schneeketten aufgezogen, der Geländewagen lag sicher auf der Straße, die Nebelscheinwerfer durchschnitten das Schneegestöber, leuchteten den Boden vor ihm aus. Den Blick auf der Suche nach dem nächsten Fahrbahnbegrenzungspfahl nach rechts gerichtet, hielt er beide Hände am Lenkrad; seine Kiefer presste er fest aufeinander. Gelegentlich schaute er neben sich auf den Beifahrersitz. Er hatte Plastikfolie darüber gespannt, der Fußboden war ebenfalls mit Folie ausgelegt. Die Innenseite der Beifahrertür und die Scheibe hatte er mit einem feinen Spray eingesprüht, das er nachher einfach abwischen konnte. Nichts in seinem Auto würde an diesen Jan König erinnern. Und nichts von seinem Auto konnte an dem Kerl haften bleiben. Als Leiter der Spurensicherung wusste er, wo die Schwachpunkte bei den Tätern lagen. So doof war er nicht; er hatte sein Handwerk gelernt. Er würde dieses Arschloch in seiner Wohnung einsammeln und dann irgendwo in der Pampa raus lassen. Irgendwo im Nirgendwo. Weit genug weg von der nächsten Ortschaft.
Um Irina sorgte er sich nicht. Sie steckte sicher nicht im Bus oder in der S-Bahn, sonst hätte sie sich von jemandem ein Handy geliehen und angerufen. Es musste etwas anderes sein. Vielleicht saß sie in einer warmen Wohnung bei einer Oma, die kein Telefon hatte. Oder in einem der vielen eingeschneiten Autos, die nach und nach vom Technischen Hilfswerk befreit wurden, wie es im Radio hieß. Vielleicht war sie an einen Fahrer geraten, dessen Handy nicht aufgeladen war. Jedenfalls war sie viel zu intelligent, um an einer Bushaltestelle sitzen zu bleiben und dort einfach zu erfrieren. Allein schon wegen der Jungs. Irina würde alles tun, um keine Schlagzeilen zu machen. Und er würde auch keine machen.
Vor sieben Jahren, als Jan König zu diesen Alternativen nach La Gomera abgehauen war, um sich selbst zu finden, wäre er ihm am liebsten hinterhergeflogen und hätte ihm ein Messer in den Bauch gerammt. Dass der Typ versucht hatte, Irina zur Abtreibung von Lenni zu überreden, konnte er bis heute nicht verkraften. Aber damals hätte es keine vierundzwanzig Stunden gedauert, die Spur bis zu ihm zu verfolgen – weshalb er seine Finger von ihm gelassen hatte. Aber heute, unter diesen Bedingungen … einen besseren Zeitpunkt gab es gar nicht.
Ein tragischer Unfall.
Der Geliebte auf der Suche nach seiner Herzensdame erfroren. Welch ein Jammer. Er musste Jan nur dazu bewegen, in sein Auto zu steigen – und dazu
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