Liebe Hoch 5
aufs Bett und sah zu den verschneiten Fensterscheiben. Scheiße. Wie schlimm war es eigentlich wirklich da draußen?
Das Handy klingelte wieder, doch er lief zur Wohnungstür, stürmte in Strümpfen die drei Stockwerke hinunter, riss die Haustür auf und stand sofort in einer Wolke aus Schneegestöber. Beide Arme um sich schlingend warf er einen Blick nach draußen, wo nichts, aber auch gar nichts zu erkennen war. Er schlug die Tür wieder zu und stürmte die Treppe zurück nach oben, nahm drei Stufen auf einmal, verlor unterwegs Schnee und rannte ins Schlafzimmer, wo das Handy wieder bimmelte.
»Milo, hier ist Jan«, sagte er schwer atmend.
»Jan wer ?«, fragte Milo, als gäbe es massenhaft Männer mit diesem Namen.
Als gäbe es ohne Ende Jans, mit denen Irina sich traf.
»Jan König «, sagte Jan und zog den Nacken ein. Erinnerte sich an das letzte Telefonat, das sieben Jahre zurücklag. Sieben Jahre, in denen er fast täglich an Irina dachte. Sie hatte mit ihm Schluss gemacht, als sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war. Von Milo, diesem Arsch. Dass sie noch ein zweites Mal einen dicken Bauch gehabt hatte, erzählte sie ihm erst vor drei Monaten. Ihr Busen war danach weicher geworden.
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, knurrte Milo. »Ich denke du bist auf La Gomera und beglückst die Touristen mit deinen Schmierereien! Gib mir sofort Irina!«
»Sie ist nicht hier«, sagte Jan und setzte sich auf die Bettkante.
Milo schien es die Sprache verschlagen zu haben. Jan starrte die weiße Scheibe an. Plötzlich sagte Milo: »Sie ist also ernsthaft da draußen unterwegs und hat ihr Handy bei dir vergessen?«
»Wahrscheinlich ist der Bus oder die S-Bahn steckengeblieben«, sagte Jan . So tragisch ist das auch wieder nicht , dachte er. Beide haben eine Heizung und geschlossene Fenster.
»Was faselst du da? Bus? S-Bahn? Wo wohnst du denn überhaupt?«, fragte Milo, und jetzt hörte Jan jede Menge Wut in seiner Stimme. Wut, die Milo schon mal herausgebrüllt hatte. Damals drohte er ins Telefon: »Wenn du dich noch einmal mit ihr triffst, bring‘ ich dich um, du Scheißer. Wenn du mir noch einmal mit deinem Pinsel in die Quere kommst, dann krieg ich dich. Und zwar so, dass es keine Spuren hinterlässt. Glaub mir.«
Trotzdem nannte Jan ihm den Ort. »In Giersdorf.«
Milo stieß Atem aus. »In Giersdorf, ich fasse es nicht. Sie hat also die … die 16 genommen? An der Haltestelle auf der Kuppe? Um zur S-Bahn zu kommen?«
Jan schluckte. »Ja.«
»Gib mir deine Adresse«, forderte Milo.
»Wofür?«
»Deine Adresse hab ich gesagt!«
»Lange Gasse 17. Aber sie ist doch gar nicht mehr hier!«
Milo legte auf.
Jan steckte Irinas Handy in die linke Hosentasche, in der rechten hatte er sein eigenes. Dann hastete er in die Küche und drehte die Platte ab, auf der der Espressokocher blubberte. Er goss sich ein, gab einen Löffel Zucker dazu und rührte um. Irina musste im Bus sitzen. Hätte sie den Bus verpasst, wäre sie zurückgekommen. Oder hätte jemanden nach einem Handy gefragt.
Von Ferne hörte er gedämpftes Glockenläuten. Sein Blick ging zum Küchenfenster, vor dem ein undurchdringliches Gewirr von Weiß tobte. Vielleicht ist doch was passiert , dachte Jan. Sie hätte doch bei Milo angerufen, wenn der Bus steckengeblieben wäre. Schon allein wegen Lenni und Piet, die anscheinend schon seit Wochen von Weihnachten sprachen. Nur wegen der beiden setzte sie sich Heiligabend unter einen Baum und trällerte Weihnachtslieder.
Jan rührte in der Espressotasse, ohne einen Schluck zu nehmen. In letzter Zeit war sie oft spät heimgekommen. Dann kümmerte sich ihre Nachbarin um Lenni und Piet. Machte die Glotze an. Seinetwegen, weil er Irina jedes Mal bequatschte, zu bleiben; er konnte sie einfach nie gehen lassen. Sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass ihre Beziehung nur auf Zeit war. »Das ist keine zweite Chance oder sowas in der Art, Jan«, hatte sie gesagt, »ich brauch nur mal einen Tapetenwechsel und ein bisschen Gefühl in meinem Leben.« Nicht mal Fotos ihrer zwei Jungs wollte sie ihm zeigen. Wenn Weihnachten vorbei war, musste er unbedingt mit ihr reden. Ihr klar machen, dass er zu allem bereit war – sie war einfach die Richtige. Was sich allein schon daran zeigte, dass er wieder malen konnte. Malen wie noch nie. Eine Frau, die Mutter war! Vor sieben Jahren hatte er sich das einfach nicht vorstellen können. Schon gar nicht, Vater zu werden. Und dann traf sie Milo, zehn
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