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Liebe Hoch 5

Liebe Hoch 5

Titel: Liebe Hoch 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Popescu , Katrin Koppold , Ivonne Keller , Katelyn Faith , Nikola Hotel
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brauchte er nicht einmal einen Vorwand.
    Er durfte nur nicht vergessen, ihm sein Handy abzuknöpfen, damit er keine Hilfe rufen konnte.
    Die Fahrt zog sich unendlich hin. Milo überholte unzählige Fahrzeuge, manchmal sprangen Leute auf die Straße und wollten, dass er sie mitnahm, aber er ließ sie links liegen; er hatte was anderes vor.
    Als er die Haltestelle vor Giersdorf passierte, war er überrascht, jemanden dort sitzen zu sehen. Er hielt an und kniff die Augen zusammen. Es war fast unmöglich, etwas zu erkennen. Die Person war nahezu vollständig mit Schnee bedeckt – saß jedoch aufrecht. Dass es ein Mann war, erkannte er lediglich an den breiten Schultern. Fast wäre er weiter gefahren und nach Giersdorf eingebogen. Stattdessen zog er die Handbremse an, wickelte seinen Schal eng um seinen Kopf und stieg aus, getrieben von einer Ahnung. Der Wind schlug ihm ins Gesicht und nahm ihm den Atem. Er musste gegen den Schnee anbrüllen: »Jan König, bist du das!?« Er ging noch ein paar Schritte näher, bis er fast vor der Person stand.
    Der Mann hob den Kopf und Milo erstarrte. Er hatte Jan König noch nie gesehen. Aber dass er es war, darin bestand kein Zweifel. Alles in seinem Gesicht erinnerte Milo an seinen Sohn Lenni.
     
    Irina schlief, als jemand an die Scheibe klopfte. Laut und rhythmisch hämmerte es und sie hatte Mühe, sich zu orientieren. Der Geruch im Wagen war zum Schneiden, seit Stunden saßen sie in diesem Tannennadel-Mief und benetzten sich die Lippen mit Schnee, den sie ab und zu mit einem Schwung kalter Luft hereinließen. Frau Kowalski riss sofort die Beifahrertür auf, als sie das Klopfen hörte – auf ihrer Seite des Wagens stand der Schnee nicht ganz so hoch. Irina zog ihre Stiefel an und kletterte mit schmerzenden Gliedern über den Schalthebel und den Beifahrersitz an Herbert Schmitz vorbei nach draußen in die eisige Kälte; quittierte das feierliche »Frohe Weihnachten« ihres Retters mit einem schiefen Lächeln und mehreren tiefen Atemzügen, die in den Lungen schmerzten. Es schneite nicht mehr.
    Im Inneren des Fahrzeugs des Technischen Hilfswerks saßen schon einige Leute, zwei davon schliefen im Sitzen. Eine Frau hatte ein Kind auf dem Arm. Der Boden des Wagens war nass von geschmolzenem Schnee.
    Kaum saßen sie auf ihren Plätzen, sagte Frau Kowalski zu dem Herrn, der eine Decke über Irina ausbreitete und ihr einen heißen Tee eingoss: »Ich glaube, die junge Frau hier würde gern mal telefonieren.« Dabei tätschelte sie Irinas Knie.
    Irina schnürte es die Kehle zu. Was sollte sie Milo denn sagen, der mittlerweile vielleicht sogar wusste, wo sie gewesen war? Sorgte er sich oder würde er einen seiner Wutanfälle bekommen? Mit klammen Fingern wählte sie seine Nummer.
    Wütend war er nicht. Auch nicht sachlich, wie sonst, wenn es um Gefühle ging. »Mein Gott Irina, endlich«, flüsterte er. Täuschte sie sich, oder weinte er? »Ich hab dich stundenlang gesucht«, fuhr er leise fort, »wo warst du denn nur? Auf der Arbeit haben sie gesagt, du hattest gar keinen Dienst. Ich hab mir solche Sorgen gemacht, Irina.«
    Irinas Herz klopfte wie wild. Er sagte kein Wort von Jan. Wusste er am Ende gar nicht …? »Ich wollte noch ein letztes Geschenk besorgen«, log sie zögernd. Kam sie damit davon? Sie hoffte es so sehr. Wenn Milo von Jan erfuhr und seine Wut ihn übermannte …
    Milo lachte leise. »Immer alles in letzter Minute, was?«
    »Ja«, sagte Irina, »ich kann mich halt nie entscheiden.«
    Milo schwieg. Dann sagte er: »Mir ist heute etwas klar geworden, Irina: Wir sollten mal zusammen wegfahren, ohne die Kinder. Vielleicht in die Berge, zum Skifahren. Irgendwo richtig hoch, wo wir ungestört sind. Wir holen nach, was wir in den letzten Jahren versäumt haben. Vielleicht über Silvester? Meine Eltern würden auf die Jungs aufpassen.«
    Irina blinzelte. Solche Worte hatte sie sich schon so lange gewünscht. Endlich mal was anderes als immer nur seine Geschichten von Mord und Totschlag und Eifersucht, die in Ehedramen endete. Wenn er damit aufhören würde, bräuchte sie keine Schmusestunden mit Jan.
    »Das wäre schön«, sagte Irina und atmete tief durch. In ihrem Bauch breitete sich ein wohlig warmes Gefühl aus.
    Im Hintergrund hörte sie das Gelächter ihrer Söhne.
     
    Milo legte auf und betrachtete zufrieden das Telefon. Er hoffte, dass Jan inzwischen auf der Bank in der Bushaltestelle festgefroren war. Aber selbst wenn nicht – er hatte das Interesse an ihm verloren.

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