Liebe Hoch 5
schenkt mir ein kurzes Lächeln.
»Ab hier übernehme ich wieder. Danke.«
»Gerne.«
Das ist mir sogar ganz recht, denn meine Kehle fühlt sich plötzlich ziemlich eng an. Schnell gehe ich ein paar Meter weiter weg und lasse die beiden Mädels alleine. Sie brauchen mich nicht dabei – und ich brauche ein paar tiefe Atemzüge und eine Zigarette. Zur gleichen Zeit, das wäre toll.
Hinter dem Bus bleibe ich stehen und versuche, nicht mehr daran zu denken … Aber irgendwie wird der brennende Schmerz in meinem Inneren nicht weniger. Egal wie sehr ich mich auch anstrenge. Fast fühle ich mich, als ob ich mich gerade übergeben habe. Und irgendwie habe ich das auch getan. Ich kann es noch so lange leugnen, es bringt nichts. Er fehlt mir. Er fehlt mir heute mehr denn je. Er fehlt mir so sehr, dass ich wie ein kleines Mädchen heulen könnte. Ich fahre eine Mutter und ihre Tochter durch die Nacht zu ihrem Vater. Ich selbst werde am Ende des Abends alleine in meinem Bus sitzen und meinen Sohn vermissen, der an diesem Tag alles lieber wollte als bei mir, seinem Vater, zu sein.
»Ben?«
Jetzt bloß nicht nicht losheulen! Schnell wische ich mir über die Augen und drehe mich wieder um. Nele hilft Lara wieder in den Bus und sieht mich nachdenklich an.
»Ist alles okay?«
Ich nicke nur allzu schnell und setze eines meiner vielen falschen Lächeln auf.
»Alles bestens.«
Lara scheint die ganze Situation ziemlich mitgenommen zu haben. Sie döst weg, bevor Nele den Sicherheitsgurt angebracht hat. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie die Blätter aus dem Handschuhfach noch immer in der Hand hält. Verdammt!
»Den hier solltest du abschicken, Ben. Felix würde sich sehr freuen.«
Dieser verdammte Brief!
Sie reicht mir die Blätter wieder und ich falte sie behutsam zusammen, bevor ich sie in meine Hosentasche stopfe.
»Das denke ich kaum.«
»Wieso denn? Versuch es doch einfach.«
Klar. Genau. Ich versuche es einfach mal so. Das stellt sie sich sehr einfach vor. Erstens würde seine Mutter den Brief ohnehin abfangen und ihm meine Worte niemals, unter keinen Umständen vorlesen, und zweitens …
»Er wollte mich nicht sehen. Deswegen das hier.«
Ich zeige an mir runter auf dieses idiotische Kostüm.
»Er wollte zum Weihnachtsmann im Einkaufszentrum. Deswegen habe ich mich beworben. Weil ich dachte, wenn er nicht weiß, dass ich es bin, dann sehe ich ihn vielleicht zumindest.«
Das Brennen in meinen Augen macht mich wahnsinnig, weil ich deswegen eigentlich nicht mehr weinen will. Eigentlich will ich deswegen auch nicht mehr fühlen. Oder atmen …
»Aber er wollte nicht zu mir, weil der Weihnachtmann sowieso nicht echt ist. Es waren bestimmt zwanzig Kinder. Aber Felix, der wollte nicht zu mir.«
»Das tut mir so leid.«
»Nicht mal, wenn ich mich als Weihnachtsmann verkleide, will mein Sohn Zeit mit mir verbringen. Was soll ein bescheuerter Brief denn ändern?«
Damit steige ich wieder in den Bus und will einfach nur weit weg. Weg! Soviel Abstand wie möglich zwischen mich und die Erinnerung an meine Beinahe-Begegnung mit Felix bringen. Nele nimmt neben mir Platz und legt mir ihre Hand auf den Arm.
»Du hast heute mehr für Lara gemacht, als ihr Vater in den letzten drei Jahren. Du bist bestimmt ein toller Vater.«
Wer kann das schon sagen? Die Chance einer zu sein, habe ich mir vor einigen Jahren selber verbaut, jetzt muss ich damit leben. So wie mit allen anderen Dingen, die ich in letzter Zeit vermasselt habe …
Die nächsten Kilometer bleiben wir stumm und der Brief in meiner Hosentasche fühlt sich unglaublich schwer an. Sobald ich die beiden abgesetzt habe, werde ich ihn wieder ins Handschuhfach sperren. Da gehört er hin. Da sollte er niemals wieder gefunden werden. Vielleicht hätte ich ihn auch einfach niemals schreiben sollen.
»Ich weiß, das geht mich alles gar nichts an … aber …«
Deswegen, genau deswegen, spreche ich nicht darüber. Denn wenn ich es tue, dann fragen die Leute nach und ich muss es erzählen und erklären. Dann muss ich darüber nachdenken und dann tut es weh. Jedes Mal ein bisschen mehr. Weil es jedes Mal ein bisschen länger her ist, dass ich ihn gesehen und mit ihm gesprochen habe.
»Du willst wissen, wieso wir keinen Kontakt haben?«
Nele sieht zu mir, aber ich gebe ihr gar keine Chance, zu antworten.
»Weil ich ein Arschloch bin! Weil ich schnell laut werde und weil seine Mutter dann Angst vor mir bekommt. Deswegen hat sie beschlossen, es wäre das Beste für Felix,
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