Liebe Hoch 5
musste, dass mein Scheitern von Anfang an vorprogrammiert gewesen war. Was ich wollte, waren knallharte Fakten. Was ich bekam, war Meditation zu Walgesängen. Dabei hätte mir doch bereits die Ausschreibung »Sanfte Geburt durch harmonische Chakren« deutlich machen müssen, dass mich genau das erwarten würde.
Aber was beschwerte ich mich? Wenigstens mussten wir nicht die vier Elemente nachtanzen. Mir trieb es immer noch den Schweiß auf die Stirn, wenn ich an die letzte Stunde dachte. Nicht nur, dass ich einen stürmischen Wind, eine züngelnde Flamme und ein sanft dahinplätscherndes Bächlein dargestellt hatte. Ich war auch fruchtbare Erde gewesen. Nicht auszudenken, wenn Nils mich dabei gesehen hätte. Irgendwann wollte ich schließlich wieder mit ihm schlafen. Gut, auf allen Vieren auf einer Gymnastikmatte zu knien und eine Babypuppe aus mir herauszupressen, war wahrscheinlich ebenso wenig dazu geeignet, unsere Partnerschaft erotisch zu beleben.
»Spüre die Energie!«, rief Conny. »Lass das Licht durch deinen Körper fließen!«
»Och nö! Ich dachte, nach diesem ganzen Chakren-Kram wären wir fertig«, murrte Nils, jetzt offenbar auch nicht mehr gewillt, die entspannte Fassade zu wahren.
»Pst!«, zischte ich ihm zu. Die absolute Ruhe während der Entspannungsübung war Conny heilig.
Zu spät! Streng schaute sie zu mir herüber. Doch dann blieb ihr Blick an Nils hängen und bekam einen entzückten Ausdruck. Wahrscheinlich nicht nur, weil er so gut aussah – obwohl er das tat! –, sondern vor allem, weil er in der bekannten Krankenhausserie »Ganz in Weiß« mitspielte. Auch den anderen Kursteilnehmerinnen gelang es heute nicht ganz so gut wie sonst, sich auf ihr inneres Auge zu konzentrieren. Viel interessanter war es, mit dem äußeren zu Nils hinüberzustarren.
Mein Freund bekam von der ganzen Aufregung um seine Person jedoch nichts mit. Wahrscheinlich eine Art Selbstschutz. Denn auch er musste hin und wieder das Auto tanken oder Toilettenpapier kaufen. Und wenn er nicht ständig mit Sonnenbrille oder Baseballkappe herumlaufen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als neugierige Blicke und Getuschel zu ignorieren.
»Du bisch’s also wirklich. I han’s mir do gloi dachd», hatte Steffi, eine resolute Schwäbin, bei der Vorstellungsrunde ausgerufen. Und mit diesem Satz waren auch die Hemmungen der anderen Damen gefallen. Ob sein Chef Dr. Schneider tatsächlich tot sei, ob Nils und die Kinderärztin Dr. Gutheil wieder zusammenkämen und ob der Pfleger Robert sein Glück endgültig bei der Patientin aus Zimmer 5 gefunden hätte, wollten sie wissen, und mein Freund beantwortete all ihre Fragen geduldig. Die Partner der Frauen blickten sich ratlos an. Sie schienen weder mit Nils’ Namen noch mit seinem Gesicht etwas anfangen zu können, was sie mir sofort sympathisch machte. Schließlich hatte auch ich am Anfang unserer Bekanntschaft nicht die leiseste Ahnung gehabt, wer er war, als ich mir mit ihm einen Mietwagen nach Italien teilte.
Nachdem die Meditation endlich beendet war, ging Conny herum und drückte uns allen ein Blatt Papier und einen Stift in die Hand.
»Die letzten zwanzig Minuten schreibt ihr eurem Partner einen Brief, in dem ihr ihm all eure Wünsche und Ängste mitteilt, die euch derzeit beschäftigen.«
Entsetzt blickte ich auf die Uhr. Sorgen hatte ich mehr als genug. Aber mussten die denn unbedingt schriftlich fixiert werden? Und 20 Minuten …! Diese Zeit reichte mir, um meine Memoiren zu verfassen! Auch Nils starrte hilflos auf das leere Blatt vor sich.
Aber es half ja nichts. Ich schrieb, dass es mir vor den Schmerzen bei der Geburt graute. Schließlich war es mir in dieser Stunde genauso wenig wie in den letzten Sitzungen gelungen, meinen Körper von meinem Geist zu trennen. Ich fürchtete mich davor, dass etwas Unvorhergesehenes passierte, dass ich der Verantwortung für ein Kind nicht gewachsen war. Und ich wollte nicht, dass die Beziehung von Nils und mir sich zum Schlechten hin veränderte.
Was ich hoffte, war, dass das Glühwürmchen in meinem Bauch gesund zur Welt kam, dass ich ihm eine gute Mutter sein konnte, dass Nils und ich uns weiterhin so gut verstehen würden wie bisher, und – ich muss es gestehen! – ich wünschte mir auch, dass ich nie wieder einen so blöden Kurs besuchen musste. Das sollte jetzt aber wirklich reichen. Entschlossen legte ich den Stift beiseite. Auch Nils war bereits fertig. Er hatte, wie ich erkennen konnte, lediglich einen
Weitere Kostenlose Bücher