Liebe Hoch 5
wenn ich ihn nicht mehr sehe.«
»Das tut mir leid. Aber das habe ich gar nicht gemeint. Ich wollte sagen, dass Kinder mit einer Wucht lieben, die wir Erwachsenen verlernt haben. Dein Sohn liebt dich. Ganz sicher.«
»Ich glaube, ich hab’s bei ihm vermasselt.«
»Laras Papa vermasselt alles. Immer. Am laufenden Band. Und trotzdem hat sie heute wie ein Schlosshund geheult, weil er nicht hier ist. Weißt du, wieviel Lust ich auf den Typen habe? Null. Aber Lara liebt ihn über alles.«
»Felix wollte doch nicht mal zu mir.«
»Schick ihm diesen Brief. Dann hast du es zumindest versucht. Ganz ohne Kostüm und Rauschebart.«
Vielleicht hat sie sogar recht. Solange ich diesen Brief bei mir habe, werde ich immer und immer wieder daran denken, dass ich ihn nicht abgeschickt habe – und dass er nicht weiß, wie sehr er mir fehlt. Dann kann er nicht mehr glauben, dass er mir egal ist. Das ist er mir nämlich keine Stunde am Tag.
»Danke, Nele.«
»Ganz sicher nicht dafür.«
Sie lächelt mich an und für einen klitzekleinen Moment tut alles gar nicht mehr so schrecklich weh.
Das Ortsschild von Stuttgart erinnert mich an meine Eskapaden als Jugendlicher, als wir mit der S-Bahn in die Großstadt gefahren sind, um mal auf eine echte Party zu gehen – eine, die nicht in einem Zelt oder in einer Scheune stattfand.
Nicht so, wie bei uns daheim auf dem Dorf.
Nele nennt mir die Adresse im Stuttgarter Westen, und nach einer kurzen Orientierungsphase finden wir schließlich die kleine Straße, in der seine Wohnung liegt. Ich bringe den Wagen zum Stehen, zweite Reihe, und sehe zufrieden zu Nele. Es ist vor Mitternacht, somit also noch Weihnachten. Ich habe tatsächlich ein kleines Wunder vollbracht!
»Ben, wenn ich diese Geschichte jemandem erzähle, wird der mich für verrückt halten.«
»Ja, so ist das mit Weihnachtswundern.«
Sie beugt sich zu mir und drückt mir einen sanften Kuss auf die Wange.
»Ein bisschen bist du heute mein Held geworden.«
Sowas habe ich auch schon lange nicht mehr gehört. Diesmal beschließe ich, es ohne Zweifel einfach mal zu glauben.
»Maus, wir sind da. Sollen wir den Papa überraschen gehen?«
Lara blinzelt einige Male, als bräuchte sie ein paar Minuten, um zu verstehen, wo wir sind, wo sie ist – und dass es kein Traum ist.
»Papa?«
Ich beuge mich über sie, um den Sicherheitsgurt zu lösen; als sie mich verschlafen anschaut, muss ich grinsen.
»Fast. Aber gleich bist du beim Papa.«
Bevor ich noch etwas sagen kann, legt sie ihre Arme um mich und drückt mich fest an sich. Ihr kleiner Körper schmiegt sich fest an mich, und so lege auch ich meine Arme um sie und schließe einen Moment die Augen. Es mag nicht Felix sein, aber es ist und bleibt ein Kinderlächeln an Weihnachten.
»Danke, Ben!«
Ich winke ihnen zu, während sie durch die Tür ins Innere des Wohnhauses treten und mich in der Stuttgarter Nacht alleine lassen. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich mir vieles vorgestellt, aber bestimmt nicht, jetzt mit meinem Bus in Stuttgart zu stehen. In einem Weihnachtsmannkostüm! Und wie für einen echten Superhelden, wird es auch für mich Zeit, nach getaner Arbeit das Supercape abzulegen. Auf der Rückbank ziehe ich das Kostüm endlich aus und schlüpfe wieder in meine Jeans und einen Pullover. Vorbei meine Zeit als Mini-Superheld.
Jetzt bin ich wieder Ben.
Ich muss keine Wunder vollbringen, sondern endlich mein Leben in den Griff kriegen. Die Trennung von Hannah ist ein Neuanfang. Ich sollte mir einen echten Job suchen und noch mal von ganz vorne anfangen. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und starre die Nummer eine ganze Weile an, bevor ich endlich auf den grünen Hörer drücke. Wieso nicht jetzt versuchen? Es gibt keinen perfekten Zeitpunkt für sowas …
Es klingelt.
»Hallo?«
Noch nie in meinem Leben hatte ich so große Angst, meinen Namen zu sagen.
»Hi Paula, ich bin's Ben.«
»Ben?«
»Ja ich weiß, ist schon echt spät und so … aber … Ich dachte … ich rufe mal an und sage … Frohe Weihnachten.«
Stille. Hat sie schon aufgelegt? Ja, es ist spät. Und nein, auch an Weihnachten ruft man um diese Uhrzeit nicht mehr an. Aber jetzt ist es zu spät.
»Danke. Dir auch.«
»Ja.«
Frag einfach! Frag doch einfach, du Angsthase!! Ich hole tief Luft, aber Paula ist schneller.
»Willst du vielleicht auch mit Felix sprechen?«
Mein Herz bleibt stehen, meine Hände zittern und mein Kopf will platzen.
»Sehr gerne.«
»Okay, bleib
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