Liebe im Gepäck (German Edition)
Lukas meint …«, äffte Harry ihren Tonfall nach und biss missmutig in seinen nur hellbraun gerösteten Toast.
Lukas schenkte ihm ein spöttisches Lächeln: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, mein lieber Herr Rechtsanwalt. Sie können heute noch den ganzen Nachmittag Ihres Amtes walten. Aber Sie werden doch nicht nach Deutschland zurückfliegen wollen, ohne die Große Mauer gesehen zu haben? Ich habe bereits einen Kleinbus bestellt. Er bringt uns nach Mutianyu.«
»Mutianyu?«, erkundigte sich Harry, froh, dass er mit seinem Sachwissen auftrumpfen konnte. »Ich dachte, Badaling sei der beste Ausgangspunkt, um die Mauer zu besichtigen?« Er hatte gestern, als er nicht einschlafen konnte, den Reiseführer studiert, der im Hotelzimmer für ihn bereitlag.
Das spöttische Lächeln auf Lukas Bares’ Gesicht verstärkte sich: »Ja, mein lieber Herr Rechtsanwalt, wenn Sie unbedingt mitten im größten Touristenrummel die Mauer besichtigen wollen, dann bitte schön. Wir machen gern den Umweg und lassen Sie dort aussteigen. Franzi und ich werden nach Mutianyu weiterfahren, denn dort bekommt man noch einen viel ursprünglicheren Eindruck. Glauben Sie mir, ich bin jetzt vier Jahre im Norden Chinas. Ich habe diesen Teil des Landes in allen Einzelheiten kennen gelernt. Sie können mir getrost vertrauen …«
»Den Teufel werde ich tun«, sagte Harry, bemühte sich aber um ein Lächeln, »mir ist es in Wirklichkeit egal, wo wir die Mauer sehen.«
Es stellte sich heraus, dass Mutianyu tatsächlich eine sehr gelungene Idee war. Zuerst jedoch hatten sie eine Fahrt von einer guten Stunde im Kleinbus zurückzulegen.Der Bus war klimatisiert, wie Franziska aufatmend feststellte. Als sie das kühle Hotel verlassen hatten, war ihr eine Woge von heißer, feuchter Luft entgegengeschlagen. Sie hatte das Gefühl, als würde sich ein seltsam klebriger Belag auf Haut und Haare legen und ihr bis in die Nase dringen.
Lukas lachte: »Hier ist es feucht? Franzi, man merkt, du bist noch nie in Hongkong gewesen. Dann wüsstest du, was wirklich feucht ist. Natürlich ist die Luft in Peking nicht so trocken wie bei uns zu Hause. Aber die Temperaturen sind nicht viel höher. Peking liegt zwar auf demselben Breitengrad wie Rom, aber die Jahreszeiten sind ähnlich wie bei uns.«
Obwohl Lukas selbst gut Mandarin-Chinesisch sprach, hatte er auch einen Übersetzer mitgebracht. Dieser begrüßte die Gäste mit einer höflichen Verbeugung, gab dem Fahrer, der erwartungsvoll grinsend hinter dem Lenkrad saß, genaue Anweisungen, und dann ging die Fahrt los.
Peking war eine Stadt mit mehr als zwölf Millionen Einwohnern, mit breiten Ringstraßen, die sich wie Autobahnen durch und um die Stadt wandern, teilweise am fünften Stock von Wohnhäusern vorbei. Man sah fast ausschließlich Hochhäuser. Prunkvolle, mit Marmor und goldenen Aufschriften verzierte für Büros. Schlichte Wohntürme für die Bevölkerung. Doch trotz der Einfachheit befand sich an fast jeder Wohnung eine außen angebrachte Klimaanlage.
Die Fahrt ging aus der Stadt hinaus im schnellen Tempo über eine Landesstraße, an weiß getünchten kleinen Häusern vorbei. Alles sah sauberer aus, als Franziska es sich vorgestellt hatte.
»Ja, die Regierung hat erst vor kurzem beschlossen, dass die Häuser weiß zu streichen sind. Denn hier führte man die maßgeblichen Leute vom olympischen Komitee vorbei, um ihnen die Mauer zu zeigen. Da war den Politikern viel daran gelegen, einen guten Eindruck zu machen. Allerdings, Franzi, es sind nur die Hausfassaden gestrichen worden, und auch die nur, soweit man sie von der Straße aus sehen kann. Ich möchte nicht wissen, wie die Häuser von innen ausschauen.«
Wider Willen war Harry nun doch interessiert. Wann hatte er schon die Gelegenheit, sich in Ruhe ein Land anzusehen? Wann hatte er schon so einen fachkundigen Führer? Wenn er zu einem Auftritt flog, dann lernte er von einer Stadt den Flughafen kennen und das, was man auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel hinter getönten Scheiben wahrnehmen konnte. Er kannte eine Vielzahl von Hotels, die sich alle wie ein Ei dem anderen glichen. Er kannte die dunkle Atmosphäre hinter einer Bühne, er kannte die mit vielen Lämpchen verzierten Maskenspiegel, und er kannte das gleißende Scheinwerferlicht auf der Bühne. Doch von den Städten, in denen er auftrat, sah er kaum etwas. Manchmal war ein offizielles Besichtigungsprogramm vorgesehen, doch nicht immer hatte er daran teilgenommen. Wie hätte er
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