Liebe im Gepäck (German Edition)
Stäbchen direkt von der Platte in der Mitte des Tisches.
»Es ist nicht erlaubt, den Fisch umzudrehen«, sagte Mei Ling, »denn dann würde ein Schiff sinken. Mit allenMatrosen!« Es war nicht zu erkennen, ob sie ihren Worten selbst Glauben schenkte.
Ein Unglück verursachen, das wollten die vier Damen keinesfalls. Und Franziska auch nicht.
Wie es der Sezchuan-Küche entsprach, waren die Gerichte köstlich, doch sie waren stark gewürzt, und Franziska brauchte einige Krüge Wassermelonensaft, um ihren Gaumen wieder zu beruhigen. Zum Glück war ein gemeinsames Besäufnis im Kreis von Damen nicht üblich.
»Warum sind Sie nicht verheiratet?«, fragte die Frau des Vizepräsidenten der Kofferfabrik.
Franziska zuckte zusammen. Wenn auch vieles in China tabu war, um nicht das Gesicht zu verlieren, diese Frage war es nicht. Sie dachte an Lukas’ mahnende Worte und erklärte, sie sei verlobt und die Hochzeit stünde in Kürze bevor.
Das nahmen die Damen mit wohlwollendem Lächeln zur Kenntnis.
»Oh«, sagte Mei Lings Mutter, »was ist Ihr Verlobter für ein Mann? Ist er ein guter Mann? Wird er Ihrem Kind ein guter Vater sein?«
Franziska beeilte sich, das zu versichern.
Und als die Damen noch mehr wissen wollten, erzählte sie ihnen Geschichten über ihren angeblichen Verlobten. Der hatte jedoch nicht die geringste Ähnlichkeit mit Bertrand. Wenn man allerdings genau hinhörte, dann konnte man Ähnlichkeiten mit Harry entdecken. Das merkte aber nicht einmal Franziska selbst.
Und dann sprachen die Damen über Mode und dem Vorhaben einer anderen Freundin, sich einer Schönheitsoperationzu unterziehen. Schönheitsoperationen erfreuten sich auch in China zunehmender Beliebtheit. Viele ließen sich die Augen operieren. Die Augen einer westlichen Frau waren das Schönheitsideal. Und dann konnte man ja auch gleich die Bauchdecke straffen oder die Brust vergrößern lassen. Das ging in einem.
Gegen zehn Uhr klingelte das Handy der vierten Dame. Sie wechselte einige Worte mit dem Anrufer und stand gleich darauf auf.
»Ihr Mann ist nach Hause gekommen«, erklärte Mei Ling, »und da ist es für eine chinesische Frau selbstverständlich, nach Hause zu gehen. Chinesische Männer können sich sehr schlecht allein beschäftigen. Sie wissen gar nicht, wie mich meine Freundinnen beneiden, dass ich einen Westeuropäer geheiratet habe. Westliche Männer sind so erfreulich selbstständig.«
Franziska wäre fast in lautes Lachen ausgebrochen.
Auch jetzt noch, Stunden später in ihrem Hotelbett, amüsierte sich Franziska über Mei Lings Feststellung. Während sie so dalag und den Tag Revue passieren ließ, war sie wohl eingeschlafen.
Sie schreckte auf, als am nächsten Tag um halb acht der Wecker klingelte, um sie unsanft aus dem Schlaf zu reißen. Und, um sie daran zu erinnern, dass weitere Verhandlungen bevorstanden.
Es dauerte noch vier Tage, vier volle Tage, bis der Vertrag endlich unterschrieben wurde und der Vorsitzende der Exportabteilung mit feierlicher Geste das Siegel unter den Vertrag setzte. Vier Tage, die Harry zermürbend fand und die Franziska im ständigen Wechsel zwischen Hoffnung und Verzweiflung hinter sich brachte.
Geduld war eine der obersten chinesischen Tugenden, und Geduld verlangte man auch vom Geschäftspartner. Wer keine Geduld aufbrachte, der hatte in Verhandlungen schlechte Karten.
Franziskas Geduld zahlte sich aus. Die Produktion konnte beginnen. Ihr Traum stand kurz davor, zum Leben erweckt zu werden.
An ihrem letzten Abend in Tianjin luden ihre neuen Geschäftspartner Franziska und ihre Begleitung zu einem großen Bankett in eines der besten Restaurants der Stadt ein. Als alle Platz genommen hatten, hielt der Exportleiter von »Tianjin Modern Suitcase Production Ltd.« eine lange, ausufernde Tischrede. Er lobte die Produkte seiner Firma, er lobte Franziskas Konstruktion, er lobte Deutschland, er lobte China, und er sah mit Zuversicht einer Frucht bringenden Partnerschaft entgegen. Da der Dolmetscher zu Franziskas Linken jeden Satz für sie übersetzte, dauerte es geraume Zeit, bis sie an der Reihe war, mit einer Tischrede ihren Dank auszusprechen.
Dann wurden die exquisitesten Speisen aufgetischt. Zuerst wurde jedem ein Teller mit einem großen Schneckenhaus serviert.
»Ach, wie hübsch!«, war Franziskas erster Gedanke, und ihr zweiter: »Und ich muss wirklich essen, was in diesem Haus steckt?« Ekelhaft! Aber, da musste sie durch. Rasch zog sie die dicke Schnecke heraus, schloss die
Weitere Kostenlose Bücher