Liebe im Spiel
Zwischen Anfällen von Lesen und Essen frönte sie ihrer leidenschaftlichen und wenig Hastytypischen Begeisterung für Kultur. Sie hätte nicht im Traum daran gedacht, ihren auf die Liebe fixierten Schwestern zu erzählen, was sie vorhatte. Aus Selenas Sicht war Rufa von Edward und Melismate besessen und verbrachte ihre Zeit in einem Durcheinander von Farbbüchern und Stoffmustern. Und Nancy war so von ihrem Job besessen, dass man denken könnte, sie bemale die Sixtinische Kapelle, anstatt hinter einer Bar Halbe zu zapfen. Beide, entschied Selena, verdienten es nicht, etwas erzählt zu bekommen. London war bei ihnen verschwendet. In der warmen, rußigen U-Bahn dahinzockelnd, hakte Selena ihre Liste wichtiger Orte ab.
Sie besuchte Dr. Johnsons Haus, Keats’ Haus und das Britische Museum. Sie wanderte in den vier Rechtsschulen in London und den Gassen von Clerkenwell umher. Sie aß abgepackte Kekse und gab das Geld, das Rufa ihr gab, in den Secondhand-Buchläden der Charing Cross Road aus. Sie besichtigte die Wallace Collection und das V & A. Sie besuchte eine Reihe Barockkonzerte am St. John’s Smith Square. Es war überaus erfüllend. Ihr Kopf schwamm vor Zitaten und Farben, Dichtung und Ideen, die unbedingt geformt werden wollten.
Zu Rufas leichter Verwunderung war Selena Roshan gegenüber recht freundlich. Er hatte in Cambridge Englisch studiert und wagte es, sie nach ihren Büchern zu fragen. Als sie erst erkannte, dass er nicht – wie sie es poetisch ausdrückte – »darauf schiss«, machte Selena die berauschende Erfahrung, ihre Meinungen ausprobieren zu können. Rufa, die ihren komplizierten Diskussionen zuhörte, segnete Roshan dafür, dass er Selena aus ihrem Panzer herauslockte. Noch bevor Selenas erste Woche in London zu Ende ging, hatte er ihr die Piercings und Rastalocken ausgeredet, die er verachtete, weil sie »provinzlerisch« wären.
Ohne die Gesichtsbewaffnung und mit dem kurz geschnittenen dunkelblonden Haar war Selena plötzlich so anmutig wie ein Schwan und sah lächerlich jung aus. Roshan versicherte Rufa, dass Selena »ernsthaft clever« sei, und sie erlaubte sich, davon zu träumen, dass ihre kleine Schwester mit dem Fahrrad das berühmte Ufer des Flusses Cam in Cambridge entlangführe.
Pech für Rufas Träume war jedoch, dass Selena selbst ihre Karriere in Gang brachte. Auf einer ihrer Wanderungen durch die National Gallery wurde sie von einem Anwerber einer Model-Agentur entdeckt. Ihr langer, magerer Körper erwies sich als perfekter Kleiderständer. Ihr zerbrechliches, dünnknochiges Gesicht fotografierte sich wie ein Traum. In erschreckend kurzer Zeit wurde sie in einen Strudel von Studios und Zeitschriftenbüros hineingezogen, für Vogue fotografiert und durch das Versprechen zukünftiger Reichtümer verwirrt.
Nancy fand es fabelhaft und pinnte stolz einen von Selenas Bewerbungsbogen hinter die Bar bei Forbes & Gunning. Rufa ärgerte sich insgeheim. Vor zehn Jahren, wie sie sich unwillkürlich erinnerte, war sie selbst »entdeckt« worden. Der große Mann hatte schon den bloßen Gedanken an die Modelarbeit verachtet, aber jetzt war kein großer Mann da, der Selena von irgendetwas hätte abhalten können. Es war unmöglich, nicht ein wenig eifersüchtig zu sein.
»Es wird eine kurze Karriere sein«, erklärte sie Nancy eher verbittert. »Sie wird vorbeigehen, wenn sie ungefähr in meinem Alter ist.«
»Na und? Vielleicht hat sie bis dahin Unmengen Geld angehäuft«, sagte Nancy. »Gott, diese Ironie. Wir haben rund um die Uhr darauf hingearbeitet, Geld zu heiraten – und es war die ganze Zeit da, direkt vor unserer Nase. Wir hätten Selena zur Arbeit schicken und zu Hause bleiben können.«
Rufa murmelte: »Ich bin so froh, dass ich letztendlich nicht wegen des Geldes heiraten muss.«
Nancy fand Rufas voreheliche Seligkeit allmählich ein wenig selbstgefällig. »Würdest du Edward denn auch ohne Geld nehmen?«
»Natürlich würde ich das!«, fauchte Rufa. Es geschah automatisch. Nancy stocherte beständig. Erst nachdem sie es gesagt hatte, erkannte Rufa, dass sie die Wahrheit sagte. Wenn Edward plötzlich all sein Geld verlöre, wäre sie entsetzt, aber sie könnte ihn nie gehen lassen. Auf eine gewisse Art, die sie nicht ganz begriff, war sie an ihn gebunden.
Sie standen sich auf dem schmalen Bürgersteig vor den Coffee Stores in der Old Compton Street jäh von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
»Mein Gott, Rufa«, sagte er. »Rufa Hasty.«
Er kam ihr kleiner,
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