Liebe im Zeichen des Nordlichts
selbst weggehen.
»Sicher nur Abnutzungserscheinungen«, lautete ihre Auffassung. »Du weißt schon, kein Mensch ist vollkommen.«
Aber Della war skeptisch.
»Ich glaube nicht, dass es so funktioniert. Gehst du jetzt endlich zum Arzt, verdammt?«
Und Addie hatte es ihr versprochen.
Sobald sie allein waren, fing Della wieder damit an. Die Männer saßen im Wohnzimmer am Kamin, die Kinder waren oben vor den Fernseher geparkt. Della und Addie holten unten in der Küche Gläser.
»Also«, begann Della. »Warst du beim Arzt?«
»Ja. Aber die Ärztin hat nicht viel gesagt.«
»Irgendwas muss sie doch gesagt haben.«
Della hatte die Schuhe ausgezogen und war auf einen Stuhl geklettert, um die Champagnergläser vom obersten Regal herunterzuangeln.
»Sie sagte, mein Blutdruck sei leicht erhöht.«
»Oh?«
»Und sie hat mir einige Blutproben abgenommen.«
»Hat sie dir erklärt, warum?«
»Um rauszukriegen, was los ist.«
Della reichte Addie die Gläser einzeln herunter und wollte wieder vom Stuhl steigen, was sich wegen des engen Kleides als ein wenig schwierig erwies. Also zog sie das Kleid über die Hüfte und sprang hinunter.
»Okay«, seufzte sie. Es war nicht klar, ob der Seufzer der Blutuntersuchung oder der Kletterpartie wegen der Gläser galt.
»Sie sagte, es dauert ein oder zwei Wochen, bis sie die Ergebnisse hat.«
Della rückte ihr Kleid wieder zurecht und schlüpfte in die Schuhe.
»Soll ich Simon deshalb fragen?«
»Du lieber Himmel, nein!«
»Wie du willst. Nun, ich bin sicher, dass es nichts Schlimmes ist. Aber es kann ja nicht schaden, auf Nummer sicher zu gehen.«
»Absolut. Du hast absolut recht.«
»Brauchen wir einen Eiskübel?«
»Nein, nein, er kommt direkt aus dem Kühlschrank und müsste kalt genug sein.«
»Außerdem ist er sowieso gleich leer. Es lohnt sich also nicht.«
Addie folgte Della aus der Küche, als diese sich noch einmal umdrehte.
»Versuch, dir keine Sorgen zu machen«, meinte sie liebevoll. »Es heißt zwar immer, dass es wahrscheinlich falscher Alarm ist, aber man grübelt trotzdem.«
Addie tat Dellas Anteilnahme mit einem Nicken ab. Doch sie wurde den Gedanken nicht los. Selbst als sie vor dem Kamin standen und Simon die Folie von der Champagnerflasche entfernte, arbeitete ihr Verstand weiter.
Es hatte nicht geheißen, dass vermutlich alles in Ordnung sei. Die Ärztin hatte eindeutig nicht gesagt, alles sei in Ordnung.
Der Knall des Korkens erschreckte sie, so dass sie die Hände ausstreckte und unwillkürlich zurückwich.
Alle lachten. »Prosit Neujahr«, riefen sie, beugten sich vor und stießen miteinander an.
Addie trank sich an diesem Abend einen kleinen Schwips an.
Della hatte ein köstliches Menü zusammengestellt: sechs Gänge, jeder davon klein und lecker. Allerdings war dazwischen viel Zeit zum Trinken, und zwar mit wenig Grundlage. Addie spürte, wie sie immer betrunkener wurde, aber sie wollte nicht aufhören. Sie hatte so richtig Lust, sich gehenzulassen, nur um festzustellen, was geschehen würde.
Simon war in Hochform und erzählte lustige Anekdoten aus dem Krankenhaus.
»Oh, wir haben mit den seltsamsten Zeitgenossen zu tun«, sagte er. »Das kannst du dir gar nicht vorstellen, Bruno.«
Man merkte, dass er Bruno mochte. Das war bei Simon stets sofort zu erkennen. Er war leicht durchschaubar.
»Die überwiegende Mehrheit der Leute sind Hypochonder, Bruno, und vergeuden unsere Zeit. Neunzig Prozent der Patienten sind kerngesund. Und dann sind da die anderen zehn Prozent, die, die mit einem fußballgroßen Tumor am Kopf erscheinen und sich entschuldigen, weil sie den Herrn Doktor belästigen. Ihre Frau habe darauf bestanden, aber es sei bestimmt alles bestens.«
Alle lachten. Simon war der Einzige, der keine Miene verzog.
»Es ist wirklich deprimierend«, versuchte er, die anderen zu überzeugen.
Aber das Gelächter ging weiter.
Lange Zeit bemerkte niemand, dass Tess in der Küchentür stand. Sie sah sich mit wildem Blick um, und ihr Haar war nassgeschwitzt.
Schließlich bemerkte Della ihre Tochter, ging hin und nahm sie in die Arme. Das Kind war so gewachsen, dass ihre mageren Beine über Dellas Knie hingen. Della kehrte zum Tisch zurück und ließ sich schwer auf ihren Stuhl fallen. Sie drehte Tess herum, dass sie auf ihrem Schoß saß, streichelte das klebrige Haar des Kindes und strich es ihr aus dem Gesicht.
»Hast du schlecht geträumt, Kleines?«
Simon beugte sich vor und pustete ihr sanft ins Gesicht, um sie
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