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Liebe im Zeichen des Nordlichts

Liebe im Zeichen des Nordlichts

Titel: Liebe im Zeichen des Nordlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen MacMahon
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des Wochenendes im Büro verbracht und auf Nachrichten gewartet. Ich habe heute Morgen mit einigen von ihnen gesprochen, und aus ihren Äußerungen schlug mir das blanke Entsetzen entgegen. Man spricht von einem finanziellen Tsunami.«
    Die anderen gingen ins Bobby Van’s, um ihre Sorgen zu ertränken, und wollten Bruno zum Mitkommen überreden. Doch Bruno war zu erschöpft. Stattdessen fuhr er nach Hause und setzte sich aufs Sofa, um live im Fernsehen mitzuerleben, wie sich sein Leben in eine Trümmerwüste verwandelte. Er schaltete zwischen den Sendern hin und her und ließ die Beiträge auf sich wirken; Stunde um Stunde brandeten immer wieder die gleichen Phrasen über ihn hinweg. Die Sache folgte eindeutig einem Drehbuch, das er vielleicht irgendwann begreifen würde, wenn er es nur oft genug hörte.
    Er war ja nicht nur seinen Job los, sondern auch den Großteil seiner Ersparnisse. Die Hälfte seines Gehalts der letzten knapp sechs Jahre hatte sich mit einem Schlag und unwiederbringlich in Luft aufgelöst. Das Eigenartige war, dass ihn die Sache so gar nicht berührte. Er empfand sogar eine seltsame Erleichterung, eine Art Adrenalinrausch, wie ein Mann, der beim Heimkommen feststellt, dass sein Haus brennt, und der einfach nur froh ist, den alten Kram endlich los zu sein.
     
    Kaum zu glauben, dass das erst drei Wochen zurückliegt. Wenn er jetzt darüber nachdenkt, ist es, als sei es jemand anderem passiert.
    Er betrachtet sich mit den Augen eines Fremden. Ein glatt rasierter, teuer gekleideter Mann steigt die Treppen des U-Bahnhofs hinauf zur Seventh Avenue. An der Ecke bleibt er stehen, um sich bei dem Iraner am Imbisswagen einen Kaffee zu holen. Das Kleingeld hat er schon parat. Ein kurzes lockeres Geplänkel, dann macht Bruno kehrt, um, den Kaffeebecher in der Hand, durch die Türen in seinem Büro zu verschwinden.
    Hoch über seinem Kopf gleitet eine Weltkarte über die Glasfassade des Gebäudes wie eine Wolke über den Himmel. Inseln und Meere bewegen sich lautlos über die Scheibe, gefolgt vom Logo von Lehman Brothers in kühner Fettschrift. Er hat es immer beeindruckend gefunden. Mit stolzgeschwellter Brust ist er durch diese Türen getreten. Inzwischen erscheint ihm diese aufgesetzte Zurschaustellung von globaler Überlegenheit eher wie ein schwerer Fall von Größenwahn.
    Er sieht sich an seinem Schreibtisch im ersten Stock vor mehreren Bildschirmen sitzen. Er behält die Aktienkurse der Fluggesellschaften im Auge, überprüft die flackernden Zahlenreihen und hält Ausschau nach ungewöhnlichen Entwicklungen. Hinter ihm befindet sich eine Glasfront. Wenn er seinen Stuhl umdreht, kann er mitten in den Trog der Seventh Avenue hinabschauen. Unter ihm: dichter Verkehr, Abgase und Menschenmassen. Auf seiner Augenhöhe: sich ständig verändernde Werbeflächen und Neonreklamen. Auf der anderen Straßenseite: gewaltige Kolosse aus Beton, Stahl und Glas. Und über allem, schutzlos, der Himmel von New York.
    Inzwischen ist ihm klar, womit er sich die letzten Jahre beschäftigt hat. Er hat dagesessen und darauf gewartet, dass wieder ein Flugzeug am Horizont erscheint und genau auf sein Bürogebäude zusteuert.
    Und in gewisser Weise ist es ja auch so gekommen.
     
    Später am Tag wird Bruno auf der Suche nach kleinen Buchläden durch die Straßen schlendern und nur große finden. Er wird in einem Café sämtliche Lokalzeitungen lesen, um sich über die Wahl zu informieren. Wegen des Mindestumsatzes wird er gezwungen sein, etwas zu bestellen, auf das er keinen Appetit hat. Danach wird er einen Platz überqueren und stehen bleiben, um Vorschulkindern in reizend altmodischen Uniformen beim Sammeln von Herbstlaub zuzuschauen. Er wird sich auf einer Bank an einem von Schilf überwucherten Kanal niederlassen und den Betrunkenen zulächeln, die sich am anderen Ufer versammeln. Und dabei wird er sich fragen, was er überhaupt hier tut.
    Später wird er in die Pension zurückkehren und in dem winzigen Badezimmer duschen. Er wird wieder ins Dorf gehen und in einem belebten Restaurant allein sein Abendessen verspeisen. Anschließend wird er nach Hause gehen und sich ins Bett legen, nur um festzustellen, dass er nicht schlafen kann. Und noch einmal wird er sich bei der Frage ertappen, was er hier soll.
    Das ist der Tag, der ihm bevorsteht. Er erstreckt sich vor ihm wie ein Pfad. Allerdings hat er keine Eile, ihn in Angriff zu nehmen. Stattdessen bleibt er einfach auf der Bank am Strand sitzen und schaut aufs Meer hinaus.

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