Liebe im Zeichen des Nordlichts
lautstark, was Addie absichtlich überhörte.
»Er ist Banker.«
»Beeindruckend«, erwiderte Della, bemüht, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen.
»Sein Spezialgebiet sind Beteiligungen an Fluglinien. Leider hat er gerade seinen Job verloren. Er hat bei Lehman Brothers gearbeitet.«
Das wundert mich nicht, dachte Della. Addie hat ein Talent dafür, an Versager zu geraten. Also ist dieser Typ sicher keine Ausnahme.
Addie konnte die Gedanken ihrer Schwester lesen und zog die Sache sofort ins Lächerliche.
»Ich bin eben ein Pechvogel. Da lerne ich endlich einen netten Banker kennen, und ausgerechnet jetzt brechen weltweit die Finanzmärkte zusammen.«
»Nun, ja«, seufzte Della. »Mitten in einer Rezession darf man nicht allzu wählerisch sein.«
Früher einmal hätte Addie einen Banker noch weniger in Betracht gezogen als einen Serienmörder. Banker, Steuerberater, Anwälte, alles dieselbe Bande! Solche Typen hätte sie keines Blickes gewürdigt. Sie doch nicht.
Wie sich die Zeiten ändern. Inzwischen erscheint einem ein Banker wie ein Traummann.
»Und da wäre noch etwas«, fügt Addie hinzu. »Er ist alt.«
»Addie, wir sind alle alt.«
»Mag sein.«
»Wie alt ist er denn genau?«
»Neunundvierzig.«
»Simon Sheridan wird dieses Jahr vierundvierzig.«
Sie hat die Angewohnheit, ihren Mann beim Nachnamen zu nennen, wenn sie von ihm spricht. Alles ist ihr recht, um ein wenig Abstand zu ihrem Leben zu gewinnen.
»Ich weiß, ich weiß«, entgegnet Addie, »aber neunundvierzig ist nur ein Jahr weniger als fünfzig. Ich vögle mit einem Fünfzigjährigen. Das ist doch ein bisschen schräg, oder?«
»Das ist die Zukunft, mehr nicht«, antwortete Imelda. »Hast du ihn schon mit Hugh bekannt gemacht?«
»Herrje, Della. Er ist Amerikaner. Er ist ein Verwandter. Und er trägt einen Bart. Da ist die Katastrophe vorprogrammiert.«
»Ach, aber vergiss nicht, er ist Banker.«
Die Sache ist nur, dass Bruno sich mittlerweile nicht mehr als Banker versteht.
Er ist nicht einmal sicher, ob er überhaupt je einer war. Es hat sich eben einfach so ergeben. In der Schule war er gut in Mathe, und dann hat er sich treiben lassen. Nun fühlt er sich wie der Passagier eines Zuges, der gerade entgleist ist. Er entfernt sich vom Unfallort und denkt sich, welches Glück er doch hatte, aus dem Waggon geschleudert worden zu sein.
Wenn man ihn so, ein offenes Notizbuch auf dem Tisch, bei Starbucks sitzen sieht, könnte man ihn für einen Schriftsteller oder Journalisten halten. Er blickt sich mit aufmerksam funkelnden Augen um und beugt sich immer wieder über sein Notizbuch, um etwas aufzuschreiben.
Es ist Samstagnachmittag, und das Lokal wimmelt von Paaren. Schicke junge Leute in Jeans und Kaschmir. Auf den Tischen liegen Mobiltelefone und Autoschlüssel zwischen dampfenden Milchkaffeebechern und teuren Gebäckteilchen. Überall wird die Samstagszeitung in Sektionen aufgeteilt. Bruno überfliegt die Schlagzeilen. Ganz gleich, wohin er auch schaut, immer springen ihm dieselben Phrasen entgegen: Haushaltsdefizit, globale Krise, Zusammenbruch der Finanzmärkte.
Seltsamerweise wirkt niemand sonderlich besorgt. Alle lesen ihre Zeitung, trinken Kaffee und machen Pläne für den Samstagabend. Bruno hört sie in ihre Telefone sprechen. Sie schildern ihren Kater. Bruno ist fasziniert, wie sehr sie dabei ins Detail gehen. Sie haben sogar ein eigenes Vokabular dafür. Er hört, wie sie sich in diesem oder jenem Pub verabreden. Dann werden die Restauranttische reserviert. »Ich muss noch zum Friseur, aber wir können uns anschließend treffen.« Sie verhalten sich, als ginge sie die ganze Sache nichts an.
Bruno interessiert sich für die Entwicklungen. Wie könnte es auch anders sein? Schließlich ist er Insider. Er weiß, wie das System funktioniert. Er kann die Banken einschätzen, die Pleite machen. Er kann beurteilen, welche Auswirkungen das jeweils haben wird. Wie ein Meteorologe, der einen Orkan auf einer Wetterkarte betrachtet, oder wie ein Bergsteiger beim Anblick eines Steinschlags kennt Bruno das Gewicht und den Umfang der Felsbrocken, die da gerade den Abhang hinunterstürzen, ganz genau – und er ist sich darüber im Klaren, dass sie alles zermalmen werden, was sich ihnen in den Weg stellt.
Er sieht sich das Ganze an wie einen Film, der ihn nicht betrifft.
Hier ist er nun, ein Mann von neunundvierzig Jahren und an nichts in der Welt gebunden. Ein arbeitsloser, ein wenig unmodern aussehender Mann in
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