Liebe im Zeichen des Nordlichts
waren noch geschlossen, es war dunkel im Zimmer. Unmöglich festzustellen, wie spät es war. Addie legte sich wieder hin, schloss die Augen und hoffte, sie würden verschwinden. Aber natürlich taten sie es nicht.
Es wurde weitergeklopft. Kleine Fäuste trommelten gegen die Tür. Das hohle Klatschen einer pummeligen Handfläche. Addie wälzte sich über die Bettkante und blieb kurz stehen, bevor sie durchs Wohnzimmer in die Vorhalle wankte. Sie öffnete die Tür nur einen Spalt weit, versteckte ihren Körper dahinter und hielt das Gesicht in die Öffnung.
»Woher wusste ich wohl, dass ihr es seid, Bande?«
Sie sprangen auf und nieder. So früh am Morgen wurde ihr vom Anblick dieses grell rosafarbenen hektischen Gewusels schwindelig.
»Wir haben einen Fisch, wir haben einen Fisch.«
Stella hielt das Fischglas in der Hand und rief die anderen mit schriller Stimme zur Ordnung. »Hört auf. Ihr verschüttet es sonst. Wenn ihr es verschüttet, bringe ich euch um.«
»Er will Lola kennenlernen«, sagte sie. »Dürfen wir ihn Lola vorstellen?«
»Lola wird ihn fressen«, stellte Elsa trocken fest. Ihre Kinderstimme war ein wenig heiser.
»Wir nennen ihn Lola.«
»Nein, das tun wir
nicht!
«, protestierte Stella. »Er ist mein Fisch, und ich gebe ihm einen Namen.«
»Wir wissen ja nicht einmal, ob er ein Junge oder ein Mädchen ist.«
»Leute, euer Fisch ist große Klasse, aber ihr könnt nicht reinkommen«, meint Addie. »Es ist zu früh, und ich bin noch nicht angezogen.«
Sie standen da und musterten sie mit verdatterten Mienen. Als sie hinter sich ihre Mutter hörten, drehten sie sich um.
»Hallo, Ad«, sagte Della. Den Autoschlüssel in der Hand und mit wehenden Mantelschößen, rauschte sie die Treppe hinunter.
»Hallo, Dell«, erwiderte Addie.
»Was ist?«
Addies Antwort war ein leises Flüstern, und sie trennte jedes Wort säuberlich vom anderen, um sich nicht wiederholen zu müssen. »Ich habe Übernachtungsbesuch.«
Oh! Dellas Mund bildete einen vollkommenen Kreis. »Okay, Mädchen, Tante Addie hat Übernachtungsbesuch«, verkündete sie in demselben gekünstelten Tonfall.
»Richtig«, wiederholte Addie mit einem Nicken. »Übernachtungsbesuch.«
»Okay«, fuhr Della fort. »Meine Damen, wir machen jetzt Folgendes. Wir gehen mit dem Fisch nach oben und zeigen ihn eurem Großvater. Lola kann den Fisch ein andermal kennenlernen.«
Durch den Türspalt beobachtete Addie, wie Imelda die Kinder die Treppe hinaufscheuchte. Als sie oben angekommen waren, drehte sie sich noch einmal um und fuhr sich in gespielter Trauer mit den Fingern die unteren Lidränder entlang.
Sobald sie außer Sicht waren, schloss Addie leise die Tür und schlich ins Bad. Natürlich hatte sie Augen wie ein Pandabär. Bäche eingetrockneter Wimperntusche verliefen bis hinunter zu den Wangenknochen. So leise wie möglich drehte sie den Wasserhahn ein Stück auf, feuchtete mit dem Rinnsal einen Wattebausch an und beseitigte den Schlamassel. Anschließend putzte sie sich die Zähne und spülte mit Mundwasser nach. Mit der nassen Zahnbürste glättete sie ihre Augenbrauen.
Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, hatte sie das seltsame Gefühl, es zum ersten Mal zu sehen. Sie nahm die schmuddeligen Wände wahr, die schäbigen alten grünen Vorhänge vor dem hochliegenden Kellerfenster. Sie waren nicht gefüttert, die Säume mit der Hand in einem losen Stich geheftet, der auf der anderen Seite sichtbar war und den Stoff kräuselte. Früher hatten sie einmal in Dellas Zimmer gehangen. Irgendwann waren sie dann hier unten gelandet, so wie alles andere, was nicht mehr gebraucht wurde.
Der Lehnsessel in der Ecke, die abgewetzte Ottomane an der Wand, die hölzerne Stehlampe, die jemand mit weißer Deckfarbe zu streichen versucht hatte. Alles klägliche Möbelstücke, wie man sie in einer Ferienwohnung erwartete. Selbst die Bettwäsche, die Bezüge von Decke und Kissen, passte nicht zueinander. Das Spannbettlaken war dunkelblau, der Deckenbezug bestand aus blau-weißer Baumwolle, und die Kissenbezüge waren flaschengrün. Sie verströmten einen leichten Staubgeruch, den Dunst einer lange vernachlässigten Wäschemangel.
Das ist alles, was er von mir weiß, dachte sie, als sie wieder ins Bett schlüpfte. Dieser heruntergekommene Keller. Der kleine Hund. Der verletzte Vater, der oben lauert. So ging sie weiter die Liste durch und spürte dabei, wie eine schwere Last von ihr abfiel. Ich brauche ihm nicht mehr über mich zu verraten. Wenn ich
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