Liebe im Zeichen des Nordlichts
noch solo bist. Jetzt weiß ich es.«
»Ach, ja?«
»Hat dir nie jemand erklärt, was es heißt, einem anderen Menschen Raum zu lassen?«
Ihre Frage konnte ihn nicht aus dem Konzept bringen. Es war unmöglich, ihn zu kränken.
»Hey, ich wohne in New York. Was weiß ich schon von Raum?«
»Genau das meine ich. Die Sache ist«, fügte sie freundlich hinzu, »dass ich einen Tagesablauf habe. Erst kommt der Spaziergang, dann der Kaffee. Und vor dem Kaffee rede ich mit niemandem.«
»Also sprechen wir beim Spazierengehen nicht miteinander?«
»Das versuche ich dir doch gerade klarzumachen. Du bist bei dem Spaziergang nicht dabei.«
»Okay«, erwiderte er fröhlich. »Dann komme ich eben nicht mit.«
»Du bist nicht beleidigt?«
»Ich bin nicht beleidigt.«
Und das war er offenbar wirklich nicht. Er war bemerkenswert anpassungsfähig.
Bei Flut führt der Spaziergang Addie die Strand Road entlang zum Rand des Parks und hinaus nach Shelley Banks. Ein hübscher Name, Shelley Banks, viel schöner als die Örtlichkeit selbst.
Eigentlich handelt es sich nur um einen ausgetretenen Pfad, der sich die Küste entlangschlängelt. Auf der einen Seite befindet sich ein kleiner Hügel, auf der anderen das Meer. Eigentlich soll es ja ein Naturschutzgebiet sein, doch Addie sieht nichts als Unkraut, einige wilde Rosen und ein paar Seevögel. Hin und wieder fragt sie sich, was das für Vögel sind, und nimmt sich vor, es nachzuschlagen. Aber sie tut es nie.
Shelley Banks ist ein Paradies für Lola, nur hohes Schilf, Gräser und Felsen. Hier ist Lola in ihrem Element. Sie rast die Hügel hinauf und, das Fell voller Kletten, wieder hinunter. Sie klettert die Felsen hinab und springt ins Meer. Wenn sie dann vor Addie steht, ist sie schlammig und ganz zerzaust und wedelt voller Glückseligkeit mit dem Schwanz.
Es kommen zwar andere Hunde vorbei, aber Lola achtet nicht auf sie. Sie hat kein Interesse an ihrer eigenen Art; darin gleicht sie ihrer Besitzerin.
Natürlich kennt Addie die anderen Hundebesitzer vom Sehen und grüßt sie jeden Morgen.
Da ist der Mann mit den beiden schwarzen Labradoren; er hat einen Bypass und muss jeden Tag fünfzehn Kilometer zu Fuß gehen. Ein anderer Mann bringt sein kleines Enkelkind mit, wenn er seinen Hund ausführt, und zieht den Kinderwagen hinter sich her wie einen Golfkarren. Angeblich ist es so besser für seinen Rücken. Da sind die Mütter im Trainingsanzug, die sich beim Spazierengehen unterhalten, während ihre Hunde vor ihnen herumtollen. Und da ist eine uralte Dame mit Augen, so hell wie der Himmel. Sie singt ihren Hunden mit einer wunderschönen dunklen Stimme etwas vor und trägt das ganze Jahr über offene Sandalen. Addie hat sie am liebsten.
Unter den Hundebesitzern gelten feste Verhaltensregeln, von denen sie, wie Addie feststellt, niemals abweichen. Sie begrüßen sich mit einem Nicken und erkundigen sich nach dem Befinden ihrer Hunde.
»Wie geht es Rambo heute Morgen?« – »Wie geht es Lola?« »War Rambo im Hundesalon?« – »Oh, ja, das war er. Aber Lolas Fell ist viel zu schön zum Stutzen. Das dürfen Sie auf keinen Fall tun.« – »Die Damen bewundern Lolas Fell sehr.«
Sie sprechen einander nie beim Namen an, sondern kommunizieren nur über ihre Hunde. Sie bleiben auch nicht stehen, sondern tauschen lediglich im Vorbeigehen ein paar Höflichkeiten aus. Keine Grußformel, keine Verabschiedung.
Für Addie ist das die optimale Methode, zwischenmenschlichen Kontakt zu pflegen.
»Was für ein Morgen.«
»Erstaunlich.«
»Die Entschädigung für den letzten Sommer.«
»Wollen wir hoffen, dass es anhält.«
Addie bog in den Park ein. Lola lief vor ihr her und zog an der Leine. Addie lehnte sich zurück wie beim Wasserski.
Der ganze Park war lichtdurchflutet wie auf den Hare-Krishna-Postern, die in Bioläden an der Wand hängen. Eine seltsame Landschaft und in einen übernatürlichen Schein getaucht, so dass man fast die einzelnen Sonnenstrahlen wahrnehmen konnte. Aus dem Augenwinkel bemerkte Addie einen Vogelschwarm, der eng zusammengerückt mitten im Park auf dem Rasen saß. Es waren traurig wirkende Geschöpfe mit elegant geschwungenen Hälsen und seltsam unförmigen Körpern; sie drängten sich aneinander wie Einwanderer, die gerade das Schiff verlassen haben. Lola drehte sich, den ganzen Körper sprungbereit, zu ihnen um. Addie schlang sich die Leine fester um die Hand und zerrte Lola an den Vögeln vorbei.
Da es für diese Jahreszeit sehr warm war,
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