Liebe im Zeichen des Nordlichts
spezielle Ausdrucksweise seines Vaters nachzuahmen.
Weiche, Satan, weiche, pflegte er zu sagen, wenn er den Verschluss von einer Whiskeyflasche entfernte. Nicht dass er das häufig tat, er ging vorsichtig mit Alkohol um. Doch er trank sehr gerne. Eigentlich hatte er Freude an allem, was er tat. Bruno hatte noch immer sein leises Lachen im Ohr. Weiche, Satan, weiche.
Der missbilligende Seufzer seiner Mutter stachelte ihn nur weiter an. Jetzt beruhige dich, Frau, sagte er. Komm und setz dich auf mein Knie. In diesem Hause werde ich sowieso sträflich vernachlässigt. Mit diesen Worten zog er seine Frau auf seinen Schoß. Sie versuchte zappelnd, sich zu befreien, während die Mädchen vor Lachen kreischten.
Überlebensgroß war er, Brunos Vater. Ein kräftig gebauter Mann, der Präsenz ausstrahlte. Manchmal konnte er grob werden oder sogar richtiggehend derb sein. Im Sommer ging er abends hinaus in den Garten, öffnete seine Hose und pinkelte in die Blumenbeete. Oh, Patrick, beklagte sich Brunos Mutter dann und schnalzte mit der Zunge, wie immer, wenn etwas keine Gnade vor ihren Augen fand.
Wie tief ist die Welt gesunken, erwiderte sein Vater darauf, wenn ein Mann nicht einmal in seinen eigenen Garten pissen kann. Es ist doch sicher gut für die Rosen. Lässig schlenderte er zurück in die Küche und machte dabei O-Beine wie ein Cowboy, um seinen Reißverschluss zuziehen zu können. Ein spitzbübisches Funkeln stand in seinen Augen. Es machte ihm stets einen Riesenspaß, sie auf die Palme zu bringen.
Dreißig Jahre war sein Vater nun tot, und plötzlich konnte Bruno wieder seine Stimme hören, so als lausche er einer Plattenaufnahme aus einem alten Radioarchiv. Der Sprachrhythmus seines Vaters und die Art und Weise, wie die Wörter grollend aus der Tiefe seiner Brust aufstiegen.
Ein Baum von einem Mann, so hatte sein Vater seinen eigenen Vater beschrieben. Ein Baum von einem Mann. Bruno erinnert sich an Anekdoten aus der Kindheit seines Vaters. Geschichten vom Schwimmen im Fluss bei Hochwasser. Geschichten von gestohlenen Orangen zu Kriegszeiten. Wie eine Flutwelle hatten sich diese Geschichten über Bruno ergossen. Ein Onkel, der sich ein Auto geliehen hatte, eine Fahrt zum Strand in Bettystown. Ein Cousin, der als kleines Kind in eine Jauchegrube gefallen und gestorben war.
Bruno notierte sich all diese Bruchstücke. Er bedeckte Seite um Seite damit und hatte das Gefühl, dass er noch ganz am Anfang stand. Die vielen Geschichten, die sein Vater ihnen als Kinder erzählt hatte. Wenn man Bruno letzte Woche gefragt hätte, er hätte geantwortet, er wisse das nicht mehr. Nun stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass es noch vorhanden war.
Drei Jahrzehnte war sein Vater nun schon tot, und plötzlich war es, als hätte sich eine Tür in die Vergangenheit geöffnet. Der Mann, den er vergessen geglaubt hatte, war nun wieder überall präsent.
Wenn Bruno die Straße entlangging, glaubte er, vor sich seinen Vater zu sehen. Selbst von hinten erkannte er den dicken Hals, der aus dem Hemdkragen ragte, den Kurzhaarschnitt und die breiten Schultern unter dem schweren Mantel. An einem sonnigen Nachmittag auf dem Merrion Square jagt er einem Mann nach, der seit dreißig Jahren nicht mehr lebt. Es kostet ihn Mühe, ihm nicht hinterherzurufen.
Bruno steht am Tresen in einem Pub in Sandymount. Der Barmann schenkt ihm gerade ein Bier ein. Er wirft ihm über die Zapfanlage hinweg einen Blick zu und betrachtet ihn mit wässrig blauen Augen. Er hat gerötete Wangen, und einen Moment glaubt Bruno fast, dass er ihn mit »mein Junge« ansprechen wird.
Hier kommt mein Dad her, sagt er sich. Das sind seine Landsleute. Natürlich erinnern sie mich an ihn.
Er hat nicht damit gerechnet, diese Verbindung zu seinem Vater hier zu finden. Doch er findet es ebenso angenehm wie seltsam. Sein ganzes Leben lang hat man Bruno gesagt, dass er Ire ist. Nun begreift er zum ersten Mal allmählich, was das bedeutet.
Man brauchte nicht eigens zu erwähnen, dass Hugh sich nicht vor Hilfsbereitschaft überschlagen hatte, als es um das Foto ging.
»Wie ich vorausgesagt habe«, verkündete Addie, »war er nicht unbedingt mitteilsam.«
»Oh«, erwiderte Bruno, nahm das Foto entgegen und betrachtete es noch einmal.
»Ich habe dich gewarnt. Er spricht nicht gerne über damals.«
Bruno nickte. Ihm fiel es schwer, das zu verstehen.
»Aber er hat mir verraten, wer wer ist.«
»Oh«, wiederholte Bruno. »Das wäre wenigstens etwas.«
Addie stellte
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