Liebe im Zeichen des Nordlichts
Addie wie ein Wunder erschienen, in einem solchen Haus zu wohnen. Ein schöneres und prachtvolleres Haus konnte es gar nicht geben. Sie hatte sich für den größten Glückspilz der Welt gehalten, weil sie dort leben durfte.
Das Haus war voller Antiquitäten. Hugh liebte Antiquitäten, blätterte ständig in Auktionskatalogen und knickte die Seite ein, wenn er etwas gefunden hatte, das ihm gefiel. Nach der Auktion standen neben den Posten Zahlen in blauer Kugelschreiberschrift.
»Der arme Hugh«, meinte Tante Maura einmal. »Nicht die Spur von Geschmack.«
Maura hatte eine sehr kritische Einstellung zu Hugh. »Der Mist, den er da kauft, ist absolut wertlos. Offenbar kennen die Händler ihn schon. Aber verratet ihm um Himmels willen nicht, dass ich das gesagt habe. So ist er wenigstens beschäftigt.«
Maura ist nicht ihre richtige Tante. Sie war die beste Freundin ihrer Mutter und ihre Brautjungfer. Außerdem ist sie Dellas Taufpatin. Eigentlich ist sie die Patentante für sie beide.
»Die Patentantenfee«, höhnt Hugh. Der Ausdruck geht auf sein Konto und amüsiert ihn immer wieder. Inzwischen sprechen die Mädchen sie sogar so an.
»Sauertöpfische alte Lesbe«, lästert Hugh. »Die hat solche Haare auf den Zähnen, dass die Männer einen Bogen um sie machen.«
Nach dem Tod ihrer Mutter hat Hugh die Mädchen zum Antiquitätenbummel mitgenommen. Am Sonntagmorgen, wenn alle anderen die Messe besuchten, spazierten die drei die Francis Street entlang und gingen in einen schäbigen Laden nach dem anderen. Addie erinnert sich noch an den süßlichen Geruch der Möbelpolitur, daran, wie es die Augen anstrengte, sich nach dem hellen Sonnenschein draußen an die Dunkelheit in den Läden zu gewöhnen, und an den scharfen Schmerz am Schienbein, wenn man sich in einem vollgestellten Keller irgendwo anstieß.
Der Gedanke versetzt ihr einen Stich ins Herz. Wie sehr hat Hugh sich bemüht, das Haus in ein Zuhause zu verwandeln und Addie und Della in diese Häuslichkeit einzubeziehen.
Es waren glückliche Zeiten zu dritt. Sie kauften einen alten Apothekerschrank mit Glastür, den Addie und Della mit am Strand gefundenen Muscheln und Steinen füllten. Sie kauften Rollpulte mit Abteilen zum Einsortieren und Geheimfächern, einen Globus zum Aufklappen, in dessen Innerem sich eine Hausbar verbarg, und eine ausgestopfte Maus in einer Glaskuppel.
Doch Addies Lieblingsstück, in das sie sich sofort vernarrt hat, war eine riesige Meerjungfrau aus Holz. Addie hat sich auf Anhieb in die Meerjungfrau verliebt und musste sie einfach haben.
»Sie kommt vom Bug eines Schiffs«, erklärte der Mann im Laden, weshalb Addie sie nur umso mehr liebte. Sie stellte sich bereits vor, wie die Meerjungfrau von der Wand ihres Zimmers aus auf sie herunterblickte.
»Sie ist viel zu groß«, wandte Hugh ein. »Wo sollen wir sie denn unterbringen?«
»In meinem Zimmer«, erwiderte Addie, als ob das die selbstverständlichste Sache der Welt wäre.
Sie mussten beide den Kopf in den Nacken legen, um sie anzuschauen.
»Sie ist ein Ungeheuer«, protestierte Hugh. »Da würde der Putz von der Wand fallen.«
Doch Addie ließ sich nicht beirren. Sie war fest entschlossen, die Meerjungfrau zu kaufen.
»Wir wollen darüber schlafen«, hatte Hugh vorgeschlagen, in der Hoffnung, ihr die Sache ausreden zu können.
Sie hatte verhandelt, gebettelt und Versprechungen gemacht. Sie hatte geschmollt und gefleht. Sie hatte tagelang nicht lockergelassen, bis er schließlich nachgegeben hatte. Aber als sie wieder in den Laden gingen, war die Meerjungfrau fort. Jemand anderer hatte sie gekauft. Addie hatte das Hugh noch lange vorgehalten.
Der arme Hugh. Inzwischen konnte sie nicht anders, als ihn zu bedauern. Da saß er nun in seinem großen Haus, gestrandet inmitten seiner seltsamen Schätze. Inzwischen war der alte Knabe selbst eine Kuriosität. Ein menschlicher Anachronismus, der langsam am Fenster versteinerte, während draußen das Leben ohne ihn weiterging.
So erschien es wenigstens Addie, als sie dastand, über die ruhige Wasserfläche blickte und das triste alte Haus auf der anderen Seite der Bucht betrachtete. Seltsam, was einem mit ein wenig Abstand so alles klarwurde.
»Lola!«
Addie rief ihren Namen und wartete darauf, dass sie erschien.
»Lola!«
Noch immer keine Spur von ihr. Addie drehte sich in Richtung Hügel um. Ihr Blick fiel auf eine große Informationstafel, genau vor ihrer Nase. Der Stadtrat von Dublin hatte sie aufgestellt, und es war
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