Liebe im Zeichen des Nordlichts
Blöcken durch die Fenster hereinfällt und die Staubpartikel unter Wasser beleuchtet. Sie liebt das dröhnende Schweigen da unten.
Wenn sie ankommt, setzt sie sich erst eine Weile an den Beckenrand, schließt die Zehen um die Haltestange und zieht die Knie an die Brust. Dann streift sie sich die Bademütze über die Ohren. Sie trägt eine altmodische mit Plastikblumen darauf. Davon hat sie eine ganze Sammlung. Man muss sie in der Apotheke kaufen, die Sportgeschäfte führen sie nicht mehr. Allerdings sind sie viel bequemer als die modernen Bademützen aus Stoff, weil sie beim Schwimmen nicht ständig verrutschen, sondern richtig sitzen. Das Problem ist nur, dass der Gummibund einen Abdruck auf der Stirn hinterlässt, der einem stundenlang erhalten bleibt, so dass Addie herumläuft wie eine Witzfigur. Aber das kümmert sie nicht.
Sie gleitet ins Wasser und erschaudert, als ihre Schultern untertauchen. Dieses Ende des Beckens liegt im Schatten, und das Wasser fühlt sich kühl an. Sie rückt die Schwimmbrille zurecht und taucht den Kopf unter, um festzustellen, ob sie dicht ist. Dann stößt sie sich von der Wand ab. Mit schwungvollen Zügen schwimmt sie unter Wasser und hält dabei die ganze Zeit die Augen offen. Sie achtet darauf, dass die Züge so lang und kräftig wie möglich sind, und zögert den Moment hinaus, in dem sie gezwungen ist, aufzutauchen und Luft zu holen.
Anschließend taucht sie wieder, pflügt durchs Wasser und holt dabei mit den Füßen aus wie ein Frosch. Charlie-Chaplin-Füße, hat ihre Schwimmlehrerin ihnen erklärt. Das hat Addie nie vergessen. Komisch, wie man sich manche Dinge merkt.
Beim dritten Zug ist sie im Licht und schwimmt durch flüssigen Sonnenschein. Goldene Sonnenstrahlen beleuchten die im Wasser treibenden Staubteilchen. Addie schiebt die Hände durch das lichtdurchflutete Wasser und dreht beim Schwimmen den Kopf zur Seite, damit sie beobachten kann, wie ihre Arme sich zwischen Licht und Schatten hin und her bewegen. Sie passiert ein weiteres Fenster, durchschwimmt noch ein magisches Feld aus Sonnenschein und erreicht schließlich die gegenüberliegende Wand; hier macht sie kehrt und schwimmt zurück. Das tut sie wieder und wieder.
Früher hat sie mühelos vierzig Bahnen geschafft, an manchen Tagen sogar fünfzig, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Inzwischen geht ihr schon nach zwanzig die Puste aus. Das liegt daran, dass ich nicht oft genug herkomme, sagt sie sich. Daran, dass ich so oft im Meer schwimme. Ich werde alt, denkt sie. In ein paar Wochen bin ich neununddreißig. Vielleicht lässt meine Kondition ja nach.
Nach zwanzig Bahnen legt sie eine Pause ein, schlingt die Arme um die Haltestange und drückt die Brust raus, um genüsslich ihre Wirbelsäule zu strecken.
Danach quält sie sich in langsamerem Tempo durch weitere zehn Bahnen.
Die alten Damen in der Umkleide sprachen über Bücher. Soweit Addie feststellen konnte, gehörten sie alle demselben Literaturzirkel an.
»Fandst du die sexuelle Gewalt nicht auch ein wenig übertrieben?«, fragte eine alte Dame und beugte den Kopf vor, um ihr Haar zu frottieren.
»Komisch, das hat mich gar nicht gestört«, erwiderte eine andere. Sie stand vor dem Handtrockner, breitete ihr Handtuch aus und ließ sich von der warmen Luft trockenföhnen. »Mir hat das Mädchen gefallen«, fuhr sie fort, wobei sie mit hoher Stimme das Rauschen des Trockners überschreien musste. »Die hatte wenigstens Temperament.«
Addie liebt diese alten Damen, sie liebt ihre Art zu leben.
Sie liebt ihre ausgeleierten Omabadeanzüge und ihre runzeligen Beine, die ledrigen Dekolletés und die sommersprossigen Arme. Sie sieht ihnen gerne dabei zu, wie sie sich von Kopf bis Fuß mit Körperlotion einreiben und wie sie sorgfältig ihr feines Haar in Form bringen. Sie sind tapfere Frauen, und Addie bewundert sie. Sie möchte auch so sein, wenn sie einmal alt ist.
»Keine Ahnung, warum ich mir das antue«, meinte die alte Dame. Sie saß vor dem Spiegel und trug einen glänzenden, korallenroten Lippenstift auf. »Ich fahre von hier aus sowieso direkt nach Hause. Da sieht mich doch keiner.«
»Oh, aber mit Lippenstift fühlt man sich einfach besser«, entgegnete eine andere, während sie in ihre Strumpfhose schlüpfte. »Das wirkt todsicher.«
Auf dem Weg zum Auto schmunzelte Addie immer noch.
Schwimmbad oder Meer?, wollte er wissen, als sie, das Haar nass und zerzaust, zur Tür hereinkam. Sie hatte von der Bademütze zwei tiefe
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