Liebe im Zeichen des Nordlichts
bevor sie sich in den Verkehr einfädelte. Das Lenkrad in ihren Händen fühlte sich leicht an, und es war, als würde sie schweben. Obwohl es besser gewesen wäre anzuhalten, fuhr sie weiter nach Hause.
Plötzlich sah alles so anders aus, und sie betrachtete die Welt vor ihrem Autofenster mit neuen Augen. Sie war noch dieselbe und dennoch verändert, und zwar auf eine Weise, die sie nicht beschreiben konnte. So, als sei die Welt ein Gemälde, das jemand auf den Kopf gestellt hatte. Sie konnte noch nicht sagen, ob sie ihr so besser gefiel oder ob sie wieder zu ihrem ursprünglichen Zustand zurückkehren sollte.
Die Ampeln am Kanal zwangen sie, immer wieder stehen zu bleiben. Es herrschte Berufsverkehr, und auf den Fußwegen war ein steter Strom von Passanten auf dem Nachhauseweg zu beobachten. Menschen in dunklen Mänteln, die Aktenkoffer oder Laptoptaschen bei sich hatten. Leute auf Fahrrädern und mit reflektierenden Bändern vor der Brust, damit man sie in der Finsternis besser sehen konnte. Addie betrachtete die Gesichter der Vorbeigehenden und fühlte mit jedem von ihnen. Sie spürte ihre Müdigkeit nach einem langen Tag und ihren Wunsch, endlich nach Hause zu kommen. Und es schoss ihr durch den Kopf, dass sie alle nur ihr Bestes taten.
Plötzlich war Hugh für Addie nur ein Mensch unter vielen in dieser geschäftigen Stadt. Nur ein Gesicht in der Menge, ein starrsinniger alter Mann in einer Welt, die ständig in Bewegung war.
Ein schwindelerregender Gedanke! Allein davon drehte sich ihr schon der Kopf. Doch zum ersten Mal seit langer Zeit war ihr leicht ums Herz. Sie brauchte einen Moment, um das Gefühl in Worte zu fassen. Und als es ihr gelang, war sie sehr überrascht.
Er tat ihr leid.
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Kapitel 27
D a die Gipsverbände endlich abgenommen waren, brauchte Addie nicht mehr bei Hugh zu wohnen. Er kam gut allein zurecht.
»Was ist mit Hopewell?«, fragte Addie. »Behalten wir ihn noch eine Weile?«
»Gütiger Himmel, nein«, entgegnete Hugh. »Hopewell ist, wie ich zu meiner Freude sagen kann, ein Stück Geschichte.«
»Heißt das, er ist bereits fort?«
»Gekündigt«, erwiderte Hugh. »Ich habe am Freitag die Agentur angerufen.«
Addie erstarrte und sah ihn entgeistert an. Hugh saß am Fenster und betrachtete einige Papiere auf seinem Schreibtisch über den Rand seiner Brille hinweg. Er trug einen Pullunder und ein frisch gebügeltes gestreiftes Hemd. Beim Lesen des Dokuments machte er Handgymnastik und öffnete und schloss die Fäuste mit ruckartigen Bewegungen.
Früher hatte sich Addie oft über Hugh geärgert. Er hatte sie zornig oder traurig gemacht und sie mit seinem Geschimpfe, seinen Tiraden und seiner grenzenlosen Wut auf die Welt ermüdet. Doch nun ertappte Addie sich zum ersten Mal dabei, dass er ihr richtiggehend unsympathisch war.
Wird das in Zukunft so bleiben?, dachte sie. Würde sie nun, da ihr endlich die Augen aufgegangen waren, mehr und mehr Dinge an ihm entdecken, die sie nicht mochte?
»Es tut mir leid, das zu hören«, sagte sie. Sie sprach in einem Ton, den sie ihm gegenüber bis jetzt noch nie angeschlagen hatte. Offenbar hatte er es bemerkt, denn er blickte von seiner Lektüre auf und sah sie abwartend an.
»Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet. Er hat gute Arbeit geleistet. Ich hätte mir eine Gelegenheit gewünscht, mich bei ihm zu bedanken.«
»Dafür, dass er mich ertragen hat? Oh, da musst du dir keine Sorgen machen. Der gute alte Hopewell braucht sich nicht zu beklagen. Er ist für seine Mühen reich belohnt worden.«
Es machte sie wütend, wie er das sagte, so wütend, dass sie sich abwenden musste.
Der Mann hatte ihn sechs Wochen lang gepflegt. Natürlich hatte er für seine Arbeit Geld bekommen. Doch das war nicht alles. Er war freundlich zu Hugh gewesen und hatte sich eine Menge von ihm gefallen lassen müssen. Dafür hatte er etwas Besseres verdient.
»Tja, mich brauchst du jetzt ja auch nicht mehr«, verkündete sie und drehte sich zu ihm um. »Ich ziehe wieder in meine Wohnung.«
»Natürlich«, antwortete er und hob dabei nicht einmal den Kopf. »Mach dir keine Gedanken um mich, Adeline. Ich komme schon allein zurecht.«
Und damit war das Thema erledigt.
Falls Addie mit einem Dank gerechnet haben sollte, konnte sie lange warten. Lieber hätte er sich die Zunge abgebissen.
Bruno gab sein Pensionszimmer auf. Es war Unsinn, Miete zu bezahlen, wenn er ohnehin nie dort war.
»Du kannst genauso gut bei mir übernachten«, schlug Addie
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