Liebe im Zeichen des Nordlichts
Strumpfhose und hohe Absätze trug. Sie stellte sich eine traditionelle Familienfeier vor, eine riesige Horde von alten und jungen Leuten und Kindern, die gemeinsam die Messe besuchten. Anschließend fand die rituelle Bescherung vor dem Weihnachtsbaum statt. Champagnerflöten wurden herumgereicht, und es duftete nach dem Truthahn, der im Backrohr vor sich hin brutzelte.
»Wir dürfen ihn an Weihnachten nicht allein lassen«, sagte Bruno. »Außerdem«, fügte er hinzu, »warte ich schon seit Monaten darauf, ihn kennenzulernen. Das möchte ich um nichts in der Welt verpassen.«
Man brauchte nicht eigens zu erwähnen, dass sie sich auf Anhieb verstanden.
Trotz Addies schlimmsten Befürchtungen und Hughs Vorurteilen kamen sie sofort glänzend miteinander aus.
Addie und Bruno waren ein wenig zu früh dran. Sie läutete, um ihre Ankunft anzukündigen, und wollte dann die Tür aufschließen.
Offenbar hatte er auf sie gewartet. Denn sobald sie den Schlüssel ins Schloss steckte, öffnete sich die Tür, und Hugh tauchte aus der Dunkelheit auf. Addie hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Lola flitzte an ihr vorbei ins Haus.
»Gütiger Himmel«, sagte Hugh. »Der verdammte Hund! Moment mal«, hallte seine Stimme aus der finsteren Vorhalle. »Lasst mich mal Licht in die ganze Angelegenheit bringen.«
Er verschwand hinter der Tür und betätigte den Schalter. Dann drehte er sich zu ihnen um wie ein kampfbereiter Sumoringer.
Bruno trat mit ausgestreckter Hand vor. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, verkündete er. »Sir.«
Mehr war nicht nötig. Nur dieses kleine Wort mit drei Buchstaben, das Hugh wie mit Zauberhand den Wind aus den Segeln nahm.
Sein ganzes Leben hatte er darauf gewartet, dass ihn jemand Sir nannte.
Bruno hatte ihn sich ganz anders vorgestellt.
Erstens war er größer. Aus irgendeinem Grund hatte Bruno gedacht, er wäre eher klein und gedrungen. Vielleicht weil Addie und Della beide so zierlich waren. Deshalb hatte Bruno mit einem kleinen, dicklichen Mann gerechnet.
Er war auch jünger und strahlte Jugendlichkeit und Lebenskraft aus. Da Addie sich all die Wochen lang um ihn gekümmert hatte, hatte Bruno einen Pflegefall erwartet, einen alten Mann. Doch Hugh hatte nichts von einem Greis an sich. Er wirkte beinahe jungenhaft.
Sein Schritt war federnd und elastisch und verriet jugendliche Energie. Außerdem trat er selbstbewusst auf und verbreitete eine Atmosphäre der Sicherheit und angeborenen Autorität. Offenbar ein Mann, der die Dinge gern im Griff hatte.
Doch es waren die Augen, die Bruno am meisten entwaffneten. Als er auf der Schwelle stand und Hugh die Hand zum ersten Händedruck hinhielt, konnte Bruno seine Überraschung kaum verbergen. Niemals hätte er geglaubt, dass er in die Augen seines Vaters blicken würde.
»Ich muss sagen, dass ich mich freue, Sie kennenzulernen. Endlich.«
Er hatte sich in seinem Lehnsessel niedergelassen und balancierte lässig das Whiskeyglas auf dem in einer Cordhose steckenden Knie.
»Aus irgendeinem Grund war Adeline fest entschlossen, uns einander vorzuenthalten.«
Er hatte einen teuflischen Charme, der einen aus dem Konzept bringen konnte.
»Revisionismus«, murmelte Addie und warf ihm einen finsteren Blick zu. Doch er nahm sie gar nicht zur Kenntnis, sondern wandte das Gesicht entschlossen seinem Gast zu.
»Addie hat mir erzählt, dass Sie Banker sind. Also haben Sie sich aus dem Auge des Sturms zu uns geflüchtet?«
»Ja, Sir, ich fürchte, das kann man so ausdrücken.«
»Du brauchst ihn nicht Sir zu nennen«, meinte Addie gereizt. »Hugh genügt.«
Sie sah Hugh um Bestätigung heischend an. Doch er lächelte nur selbstzufrieden, bevor er sich wieder zu Bruno umdrehte.
»Sind Sie aus New York, Bruno?«
Offenbar war er fest dazu entschlossen, die Verwandtschaft nicht zur Kenntnis zu nehmen und Bruno wie einen Fremden zu behandeln.
»Nein, Sir, ich bin in New Jersey aufgewachsen. Springlake, New Jersey. An der sogenannten irischen Riviera. Viele Iren hatten dort Ferienhäuser. Damals war es die Sommerfrische aller wohlhabenden Iren.«
Hugh schwieg. Doch Addie wusste genau, was er dachte. Vielleicht ahnte Bruno es auch, denn er beantwortete die nicht gestellte Frage.
»Mein Dad hat für sie gearbeitet. Er hat sich um ihre Häuser gekümmert. Sie wissen schon, Malerarbeiten, Instandhaltung, nach dem Rechten sehen, wenn sie nicht da waren. So hat er seine Brötchen verdient. Nach einer Weile liefen die Geschäfte ziemlich
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