Liebe in groben Zügen
unter dem warmen Strahl die Wiederkehr aller anderen Frauen in ihr: der eines Mannes, Vater ihrer Tochter, sowie der Person, die jeden zweiten Sonntag an der Grenze zur neuen Woche von einer halben Million, wenn es gut lief, empfangen wurde; dazu noch der Frau mit Freundeskreis, Mittelpunkt legendärer Feste an ihrem goetheschen Geburtstag. Sie wusch sich mit der kleinen, aus der Hülle gerissenen Seife, die in der Dusche lag, und erneut der Gedanke: Es ist wahr. Aber jetzt auch, wie ein Virus aus sich selbst, der Gedanke: Es ist nicht alles. Man kann sich vergessen, aber nicht seine Dinge vergessen, etwa ihre letzte Quote, eins Komma sechs, also keine halbe Million, die sie nachts gewollt haben. Und da ist Renz, der ihr einen Teller Spaghetti ans Bett bringt, wenn sie sich elend fühlt, Carbonara, das kann er wie kein anderer, und der mit ihr anstößt, zur Not mit Kamillentee. Und da sind all die Abende mit Elfi und Lutz von oben und Heide und Jörg von gegenüber, oder Anne und Edgar, die nur ein paar Häuser weiter wohnen, überhaupt ihre ganze kleine, wie einem erleuchteten Modelleisenbahnstädtchen entnommene Schadowstraße und der nahe Schweizer Platz, wo ihr Volk auf Einkaufsjagd geht, wie Katrin, die so wunderbare und furchtbar intelligente Katrin schon als Schülerin bemerkt hat. Sie selbst ist nur gescheit – und wäre nie ohne Verhütung mit einem jungen Kubaner ins Bett gegangen, nie. Was machst du?, rief Bühl, und ihre Antwort: Mich fertig machen. Ich werde heute zurückfliegen. Es ist zu viel, kannst du das verstehen?
Und er verstand es, so wie er in der Tür zum Bad erschien, oder verstand es, so zu tun, als würde er es verstehen: Sie konnte es noch nicht unterscheiden und wollte es im Moment auch nicht unterscheiden, einem Moment, der mehr in seiner Hand lag als in ihrer – er hatte sie aus dem Bad geholt, stumm, und aufs Bett gelegt, oder hatte sie sich ziehen lassen?, auch das kaum zu sagen. Klar war nur, wie er sich über sie beugte und sie die Beine auseinandertat, und alles, was nachts noch im Verborgenen passiert war und mehr als Idee etwas Wahres hatte, geschah jetzt bei Tage, ganz im Licht und dennoch wahr, so wahr wie die Laute in seine Hand, die hatte er ihr zwischen die Zähne geschoben: das Stück Holz, das man Leuten einst gab, wenn der Arzt ans Werk ging. Ein körperlicher Eingriff ohne Betäubung, und als er beendet war, zog sie sich auf der Bettkante an, während Bühl schon auf ihrem Ticket nach der Telefonnummer für das Umbuchen suchte; und nicht ein Versuch, sie noch umzustimmen, als hätte er sie wirklich verstanden. Während sie sich schminkte, dann der Anruf, es gab noch Plätze nach Frankfurt, Vierzehn Uhr fünfzig, sagte er und bestand darauf, dass sie keinen Zug nimmt von Perugia aus, er sie zum Flughafen Florenz bringt, um von dort gleich zurückzufahren, noch ein paar Tage in Assisi zu haben, und sie sagte nur Gut, weil es der Wahrheit entsprach. Ja, es war gut, heute abzureisen, und gut, dass er sie zum Flughafen fuhr, gut und damit richtig, und als sie später im Auto saßen, sprachen sie auch nicht darüber. Sie sprachen über Franziskus, der all die Kilometer, die sie fuhren, gewandert war, bei Hitze und bei Kälte, wieder und wieder. Und von dem Wandern bei Tag kamen sie auf seine Nächte, ob er die wohl immer allein verbracht hat, ungetröstet: das wollte sie wissen, und Bühl erzählte von Klara, Klara, fast besessener als Franz in ihrem Glauben, ihrer Kasteiung, und doch noch Frau genug, seine Beachtung zu wollen, seine Blicke, und vielleicht auch mehr, wenn sie sich nach Jahren wiedersahen. Aber eine ganze Nacht, ich weiß nicht, sagte er. Was denkst du ? Eine verheiratete Frau, nicht mit Gott verheiratet, aber einem Mann. Warum drängt es diese Frau nach Hause? Bühl sah sie an, den Kopf leicht schräg, und sie zeigte auf die Straße. Fahr jetzt lieber.
Danach nur noch zwei Worte, die keine waren, vor der Sicherheitsschleuse im Flughafen, als sich die Wege trennten, Bühl sagte ihren Namen, Vila, ohne Umarmung, dafür mit der linken Hand um ihre linke Hand, ein gänzlich verkehrter Händedruck, aber der beste in dem Moment, und sie drückte die Hand und sagte Kristian, wieder mit einem Lachen, weil alles so ineinandergriff, selbst ihre linken Hände. Und die letzten Sekunden nur noch ein Zurückweichen ihrerseits und rasches Sichumdrehen und die paar Schritte bis zur Schleuse. Sie legte ihre Tasche in eine der Plastikschalen vor dem Förderband, in eine
Weitere Kostenlose Bücher