Liebe in groben Zügen
gibt kein Wort dafür, bloß leere Wörter. Er wächst in ihrem Mund, wie ein Kind im Bauch heranwächst, nur nicht in Monaten, in Sekunden, sie fürchtet, es könnte schon wieder zu viel sein, also hält sie sich zurück. Im Grunde kennt sie ihn ja gar nicht, und was weiß er schon von ihr; sie schiebt seinen Kopf von ihrem Schoß, sie will es nicht auf die Art, es käme ihr zu vertraut vor, fast familiär, sie will gefickt werden, in dem Fall ein volles Wort und auch der schwierigste Fall. Eine Weile liegen sie nebeneinander, dann macht sie die Lampe mit dem Deckchen über dem Schirm aus und überspringt damit das Abendessen. Sein Magen hat schon rumort, aber jetzt aufstehen, ein Lokal suchen, einander Gerichte empfehlen, über den Wein reden, die Gläser klingen lassen, wäre wie ein Stück Ehe. Außerdem hat sie Schokolade dabei, im Seitenfach ihrer Reisetasche: vor dem Flug für alle Fälle, also auch für den, gekauft, und sie sucht die Tafel im Dunkeln, reißt sie auf und hält ihm einen Riegel an den Mund, Magst du? Sie teilen sich die Tafel und trinken das Mineralwasser, das auf dem Nachttisch stand, sie sehen kaum ihre Hände vor Augen. Von der Basilika läutet es, sie zählen acht Schläge. Also zwölf Stunden, bis es hell ist, eine Ewigkeit. Niemand will etwas von ihnen, nur sie beide wollen etwas voneinander. Erzähl von dir, sagt sie und spürt eine Hand zwischen den Beinen, ruhiges Streicheln, da, wo es sein soll. Die wenigsten ihrer Männer, vier vielleicht, Renz eingeschlossen, fanden sich dort unten zurecht, alle anderen konnten nur hinlangen. Was soll ich erzählen? Was mich hierhergebracht hat oder in deine Sendung? Die Art, wie du im Museumspark, als ich auf der Bank stand, dein Kärtchen neben meinen Fuß gelegt hast, um dann einfach zu verschwinden. Ich sah dich weglaufen, das war entscheidend, aber warum? Ich weiß es nicht. Man kann nur das Leben anderer erzählen. Geht es dir gut? Eine Frage, als stünde es auf der Kippe, ob es ihr gutgeht, wenn er sie streichelt, da, wo es sein soll. Ja, sagt sie und schließt eine Hand um den Teil von ihm, den sie aus sich verdrängt hat mit ihrem Lachen. Wie sie es nennen soll, fragt sie, und er macht ihr Vorschläge, davon keiner überzeugend, nun muss er selbst lachen. Namen wie Aromastoffe, sagt er, und sie trifft für ihn und sich die Entscheidung: dass es namenlos bleibt, aber getauft wird mit einem Kuss, einem Laut, ihrer Freude daran.
Durch die Ritzen der Fensterläden fällt etwas Licht von der Leuchtschrift des Hotels herein, genug, um sein Gesicht zu sehen, als er sich über sie beugt. Es hat etwas wie das von Katrin, als sie für ein Jahr nach Amerika ging und beim letzten Winken mehr wusste als die Eltern: dass es ihr Aufbruch würde. Er streicht ihr das Haar zurück, er will ihre Stirn und die Schläfen, ihre Wangen und auch die Augen, dass sie ihn ansehe, und sie sieht ihn an, was mehr ist, als die Beine zu öffnen, viel mehr. Und noch einmal das Namenlose, aber getaufte, jetzt ohne Schrecken in ihr, dort, wo das Leben beginnt, wenn es sein soll, und wo es entrissen wird, wenn es nicht sein soll. Sie tun es, wie man ein Kind macht: das, woran sie seit Tagen und Nächten gedacht hat. Ganze Minuten ohne ein Wort, nur Atmen im Takt der Bewegungen, tief ein und aus, als sei sie nach Jahren in einem Keller an die Luft gekommen. Küssen und Atmen wie eins, und sie streicht ihm über die Augen, die Lider, er hat genug gesehen – ihre Hand in seinem Haar, ein ganzes Büschel zwischen den Fingern, legt sie den Mund an sein Ohr und bittet ihn zu kommen, das jetzt einfach zu tun, Hörst du?, und von ihm ein Innehalten mit zurückgelegtem Kopf, zwei, drei Herzschläge lang, gewagteste kleine Pause zwischen Liebenden, und schon im nächsten Moment ein Geschehen, als sei das Herzausschütten kein Bild. Danach liegt er still auf dem Rücken, sie auf der Seite, im schwachen Licht sein Profil, das reicht ihr, sie muss nicht wissen, wen sie liebt, sie muss es sehen, damit kann sie einschlafen an seiner Seite, das ist ihr Höhepunkt an dem Abend, mehr braucht sie beim ersten Mal nicht. Dafür nach dem Aufwachen, als sie in das kleine Bad geht, sofort der Gedanke, geliebt zu haben: dass es wahr sei. Mitten in der Nacht – einer Nacht, als würde es nie mehr Tag – nur dieser eine Gedanke zwischen Halbschlaf und neuer Umarmung. Es ist wahr.
Beim ersten Läuten von der Basilika stand Vila auf und ging duschen, jetzt mehr ein Rückzug als ein Zeitgewinn, und
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