Liebe in groben Zügen
in der Küche, lachten sie zusammen über die erstaunten, ja die baffen Gesichter der Freundespaare, alle harmloser als sie beide, die Herzen keine Gruben, auch ein Trost.
Vila ließ Badewasser ein, sie packte ihre Reisetasche aus, füllte die Waschmaschine mit den Assisi-Sachen, als hätte sie Socken, T-Shirts und Slips, die Jeans und einen Schlafanzug, den sie gar nicht anhatte, wochenlang getragen. Das gemeinsame Lachen nachts in der Küche hatte sie und Renz immer wieder gerettet, am Ende bringt es mehr, als gemeinsam zu kommen. Sie machte ihr Telefon oder Ding an – kein Wort, das sie übernehmen wollte –, es gab zwei neue Nachrichten, die eine nur ihr Name, Vilavilavila, wie ein dreifaches ratloses Seufzen, die andere war von Renz: dass sie ihm fehle. Schön, nur fehlte sie ihm ja auch, wenn sie mit ihm am Tisch saß, oder etwas an ihr fehlte ihm, das, was er bei seiner Kranken gefunden hatte. Oder Kristian Bühl an ihr fand. Und sie an ihm. Sie machte das Licht im Bad aus, sie verteilte den Schaum und stieg in die Wanne. Die Frau der Frauen sei sie, hatte Renz in seiner einstigen Wohnung, nicht viel mehr als das Bett und die Bücher und seine Vulvabilder, zu ihr gesagt, beim Blättern in einem Band mit alten Fotos von einem italienischen See, seinem See, an dem er schon als Kind mit den Eltern Urlaub gemacht hatte und der dann ihr Gemeinschaftssee wurde. Die Mütter hatten dort noch in den Sechzigern die Wäsche am Ufer gewaschen, ihre Männer flickten Fischernetze und sangen in Chören, und an Feiertagen trugen sie schwere Monstranzen, all die Dinge, die Renz mit seiner Producerin und Chemotherapiegeliebten in der neuen Serie wiederbeleben wollte oder wiederbeleben musste, um damit durchzukommen bei einem Sender. Und als alle Fotos in dem Band betrachtet waren, da hatten sie beide schon nichts mehr an, wie nebenbei war das passiert, Renz’ Kunst der Entkleidung. Dann bald die erste Fahrt an den See, das erste Abendessen in einem Lokal am Wasser. Da sitzt sie als Studentin, Mitte zwanzig, ungeschminkt, unfrisiert, und sieht kurz in die Karte und dann gleich zu dem Mann, den sie liebt: ob er dasselbe wollte, zuerst ein Caprese, dann die Pizza con tonno? Sie bedauert ihn geradezu, weil es ihm schwerfällt, sich zu entscheiden, er zwischen Pizza und Milanese schwankt, mehr scheint er auch gar nicht zu kennen: wie wunderbar, ein Italienlaie. Er zuckt nur mit den Schultern, sie übernimmt die Bestellung, die Augen bei ihm, obwohl der Kellner am Tisch steht, das Ganze so, als liebten sie sich in Gegenwart eines Dritten, Komm, bitte, komm, nimm die Piccata!, obwohl sie es gerade getan haben in ihrem kleinen Pensionszimmer, von der nahen Kirche das Abendläuten und er im Bett weder Laie noch Experte, am Ende ihre Hand auf seinem Mund, denn Wände in Pensionen sind dünn. Die Piccata, sagt sie zu dem Kellner, con patate arrosto, und kaum ist alles bestellt – sie trinken nur Wasser, noch keinen Wein, der ist erst später nötig –, finden sich vier Hände in der Mitte des Tisches, zwischen dem Öl extra vergine und dem Brotkorb, ihre Finger um seine oder umgekehrt. So ein Pärchen waren sie damals, zwei, die sich unentwegt wollten, und irgendetwas davon hatte sich bis heute gehalten. Das ganze Geheimnis der langen Ehe besteht darin, dass die Dinge von allein funktionieren, am Anfang alle schönen, dann auch die weniger schönen, zuletzt sogar die schrecklichen, die man teilt, und dazwischen die Ausnahmestunden, manchmal auch Ausnahmetage, die das Schlimmste verhindern. Oder der gemeinsame Tumor, der alles in unguter Schwebe hält: die zusammengeschmissenen Schwächen und die ganz eigene, von keinem sonst verstandene Sprache, die daraus erwächst und irgendwann zur einzigen, verrückten Sprache wird; würde man sich trennen, wäre man danach vermutlich Mutist, außer beim Anwalt.
Sie hörte die Wohnungstür, dann ihren Namen, nur einmal knapp, nicht dreimal ratlos. Renz kam mit Lebensmitteltüten ins Bad, aus einer ragte sogar frisches Gemüse, um Jahrzehnte zu spät. Er sah auf sie herunter, ein älterer Mann mit wie gestohlenem jungen Mund, und sie drückte den Schaum über Bauch und Schenkel. Ich habe eingekauft, sagte er, und sie sagte Das sehe ich. Danach die Begrüßung, Worte, die an ihr vorbeigingen, wie auch das Abtrocknen und Frisieren und sich noch irgendwie für einen häuslichen Abend herrichten, während Renz kochte oder dabei war, eine der Ausnahmestunden vorzubereiten, die sie gar nicht wollte.
Weitere Kostenlose Bücher