Liebe in groben Zügen
zweite Schale Blazer und Mantel und auf den Mantel die kleine Uhr, die ihr Renz geschenkt hatte, als das Fliegen noch so harmlos war wie damals ihr Leben.
EIN ruhiger Flug, ab der Poebene klarer Himmel, Vila sah ihren See, seine gestreckte Form aus der südlichen Rundung heraus, weiblich-männlich. Sie saß allein, der Glücksfall eines freien Nebensitzes, auf ihrem Schoß das Käsesandwich für die Strecke nach Frankfurt. Beim Einsteigen war sie von einer Frau erkannt worden, erst betretenes Lächeln, dann Geflüster mit dem Begleiter, die üblichen Zeichen, und bis vor kurzem ihr Mädchenwunsch: von allen möglichen Leuten erkannt zu werden. Und jetzt reichte ein einziger Mensch.
Die Alpen tauchten auf, ihre Spitzen schon weiß, und sie hätte gern etwas geweint, nur ohne theatralische Begleitung, geknülltes Taschentuch und Sonnenbrille – den Tränen ihren Lauf lassen, leichter gedacht als getan, wie alles Hingebende, auch das mit Bühl. Das war sogar unendlich leicht in Gedanken, etwa mit ihm zu reisen, durch Mexiko, durch Äthiopien, jeden Tag ein anderes kleines Hotel, der Gang durch fremde Straßen, auf den Gehsteigen Mosaike, aus versteckten Bars der Geruch von Weihrauch, die Mädchen funkelnd und auf Mopeds Typen wie Katrins erster Freund. Abends das Essen an einem Platz mit Eukalyptusbäumen, darin Tausende von Vögeln, sie halten einander und reden, eine Hand reicht zum Essen, ein Gespräch bis in die Nacht und den Schlaf, immer noch eine Hand an ihrer. Und mit der Morgensonne fahren sie weiter, von Veracruz über Dire Dawa nach Dschibuti, ein Traum. Sie sah jetzt auf Wolken, während in der Maschine schon die Plastikbecher eingesammelt wurden; später wollte sie noch auf ein Glas zu Elfi und Lutz, zwei, die alles füreinander tun würden, auch eine Niere spenden oder im Alter den anderen pflegen – ein Leben ohne die beiden, schwer vorstellbar. Elfi, ihre Hausärztin, mit der sie lachte. Lutz, ein Orthopäde, der auch Streit schlichten und thailändisch kochen konnte, dazu noch souverän den Vorgarten in Ordnung hielt. Und Renz? Der profitierte vom Vorgarten, dem Kochen mit Zitronengras, der Orthopädie und Elfis Hartnäckigkeit, mit der sie ihn zum Urologen und ähnlichen Leuten trieb. Seine Prostata war noch im Rahmen, nur genügte das nicht, um jemandem ewig verbunden zu bleiben. Natürlich würden sie auch alles füreinander tun, Nierenspende inbegriffen, aber es wäre immer ein Opfer. Unter ihr jetzt schon bergiger Wald, die letzten, glühendsten Herbstfarben, Bühls süddeutsche Ecke. Jahrelang, nein, fast Jahrzehnte hatte sie sich allein vor dem Wort Liebe gehütet, es nicht in den Mund genommen, sozusagen jede Berührung mit ihm vermieden, damit nur ja nichts von seiner Kraft auf sie überginge, ihr ganzes Leben sprengte. Und mit einem Mal war das vorbei, sie ließ dieses Wort in sich zu, und nun weinte sie doch noch, nichts zerrte mehr an ihr als ein Glück an seidenen Fäden – wie in sich gefangen sitzt sie am Fenster, neben sich den leeren Platz, ihre Hand noch einmal an seinem Hals, seiner Stirn, auf der weichen Haut über den Hoden, sie fliegt gar nicht vorzeitig zurück, es ist alles geschehen, was geschehen konnte. Ein stilles Weinen während der Warteschleifen, als das Licht in der Maschine schon aus war, und auch noch beim Landen und später im Taxi, eine Fahrt in der Dämmerung vorbei am Stadion, das Eintrachtspiel war zu Ende, überall Menschen, die einander auf die Schulter klopften, auch das fehlte ihr; ein Herausfließen, das erst in der Schadowstraße aufhörte, als sie bei Elfi und Lutz in der Wohnung kein Licht sah, dafür in ihrer Wohnung ein schwaches Licht aus dem Flur, aus dem Bad.
Renz war schon da, als sei er auch geflogen, da und bereits wieder weg, seine Tasche stand in der Garderobe, ungeöffnet, und im Klo war die Brille noch hochgeklappt, er wollte es einfach nicht lernen, nicht bei ihr, nicht für sie, höchstens für eine andere. Einmal hatte er nachts in der Küche gesagt, bei anderen Frauen sei es ganz leicht, die Brille wieder herunterzuklappen, aus reiner Sympathie, und sie drosch ihm die Lesebrille vom Gesicht, dass ein Bügel abbrach, den hat er dann noch zerbrochen, mit einem Lachen, bis sie nach ihm schlug, immer wieder, und er ihr die Hand umdrehte; später wurde daraus eine Geschichte, bei ihren Abendessen mit verteilten Rollen erzählt, wenn die Grappas schon zu Kopf gestiegen waren, die Klobrillensympathiegeschichte, und später, beim letzten Glas
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