Liebe in groben Zügen
es dann schon das Ungewohnte, das sie wollte, und beim dritten Mal bekam sie Angst um sich und Renz und Katrin: dass die ganze kleine Familie über Nacht in die Luft fliegen könnte. Der Abschied danach fast erschreckend vernünftig, von beiden Parteien. Was hast du ewig nicht mehr gemacht? Ihr Begleiter durch Havanna und Fahrer durch Assisi sah sie an, und im Grunde waren es seine Augen, die sie wollte, der Blick aus den immer noch fremden, aber offenen bühlschen Augen, die es möglich machten, alles andere mit zu wollen, und die nicht aufhören sollten, sie anzuschauen. Geliebt, sagte sie auf der Anfahrt zum Parkplatz, einer gewundenen Straße zwischen Zypressen, und dann nichts mehr, auch nicht auf dem Weg zum Hotel, über Treppen und durch Gassen abwärts, sie nur mit Regenschirm, er mit den Taschen.
Erst als sie im Zimmer die Läden öffnete, auf die Basilika sah, unter dem Fenster das L von Hotel Francesco, fragte sie, wo er liegen möchte, näher am Bad oder näher zur Wand, Sag, was du willst, Kristian, was willst du? Ihn beim Namen zu nennen: immer noch eine Übung, und Bühl nahm sie nur in den Arm, das wollte er, eine Hand an ihrer Hüfte, halb unter dem Pullover, die andere am Rücken, während ihre Hände noch in der Luft hingen – das Problem, vor dem sie seit Jahren nicht mehr gestanden hatte, dass jedes Berührtwerden eine Antwort verlangt. Sie griff in sein Haar, sie knöpfte sein Hemd auf, und er drückte sie an sich, beide jetzt am offenen Fenster. Es regnete noch, der weite Rasen zwischen Hotel und Basilika, dunkel vor Nässe, auf dem abfallenden Platz vor der unteren Kirche gezackte Rinnsale. Sie sah das alles, mit dem Kinn auf Bühls Schulter, ihre Hand an seiner Brust, den Gürtel an seinem Gürtel; sie sah die Stelle, an der Kasper geschrien hatte, ihr überfahrener Hund, ihr sterbendes Kind: auch da musste sie durch. Über der großen Kirche schon ein Spätnachmittagshimmel, ein Stück Abend, der Anbruch ihrer Stunden, die sie wollte, der genommenen Zeit. Und jetzt? Sie zog sich aus der Umarmung und schloss die Läden, das Fenster, den Vorhang; sie machte das Licht am Bett an, weißlich hell, wenig hilfreich, blieb nur, sich selbst zu helfen. Und sie zog den Pullover aus und legte ihn über den Schirm, für ein Licht wie auf Nachtflügen, wenn nur noch die Notzeichen leuchten, das Zimmer irgendwo zwischen zwei Kontinenten. Als Nächstes ein Griff an die Heizung, die kalt war, dann drei Schritte zum Schrank, dort gab es Decken, die warf sie über das Betttuch, und vom Bett die Schritte zu Bühl, der noch am Fenster stand, da hatte sie ihre Stiefel schon ausgezogen, nur noch Jeans und ein schützendes Teil von Intimissimi an. Darf ich? Er löste die Träger von den Schultern, dann rieb er ihr die Arme, die Hände, jeden Finger; das Zimmer war ausgekühlt. Ich geh ins Bad, sagte sie, vielleicht ist das Wasser warm.
Es war sogar heiß, und sie duschte lange, erst ein Sichwaschen und -wärmen, dann ein Zeitgewinnen, wie als Mädchen in der Wohnung ihrer Mutter, als die auf dem Meer war, eine Kreuzfahrt voller Hoffnung, das Alleinsein beenden zu können, aber es fing dort erst richtig an, während sie, die Vaterlose, nach dem langen trödelnden Duschen einen Studenten der Mathematik, angeheuert, sie durch die Oberstufe zu bringen, in ihr Bett ließ. Er hieß Ralf, und sie begab sich in seine Studentenhände, beim nächtlichen Kerzenlichtanfang fast ein Akt der Vernunft und in den Morgenstunden schon ihre erste komplizierte Liebe als minderjährige Frau. Der Spiegel über dem Waschbecken war ganz beschlagen vom heißen Wasser, sie konnte sich nicht sehen und machte die Tür auf, das Badetuch vor Bauch und Brust. Im Zimmer jetzt etwas helleres Licht, aber immer noch nachtflughaft – Bühl hatte den Pullover von der Lampe genommen, stattdessen ein gelbes Deckchen vom Nachttisch darübergelegt. Besser so für die Wolle, sagte er, in der Hand ein Bild, das vorher über dem Bett hing. Der Platz des Franziskus im Paradies, aus Giottos Freskenzyklus, das Zeug hängt überall im Hotel. Wie ist die Dusche? Er legte das Bild auf den Schrank, dann nahm er ihr das Tuch aus den Händen und begann, sie abzutrocknen, erst Schultern und Arme, dann das Gesicht und auch gleich ihr Haar, indem er es in den Stoff drückte, danach die vom Wasser noch roten Brüste, den kleinen Bauch, ihre Beine, die Füße, die er einzeln anhob. Was ist mit dem Bild? Sie drehte sich um, und er trocknete ihr den Rücken ab, jeden
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