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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Sie wollte nur etwas in den Magen bekommen und dann schlafen. Du musst mich verstehen, sagte er, die Marlies – und nach dem Namen mit Artikel eine Pause, um zu sehen, wie sie reagierte darauf, ob sie es hinnahm: Marlies als neue Kategorie in seinem alten Leben –, die hat diese Elendskrankheit, und ich ertrage es kaum, wie sie damit umgeht, so voller Pläne, obwohl sie vor Übelkeit keinen Bissen herunterbekommt und darauf wartet, dass ihr das Haar ausfällt. Sie sitzt in ihrer überheizten Wohnung und friert und spricht von unseren zwei Projekten, dem fürs Geld, die Seearztserie, und dem anderen für die Ewigkeit bis zum nächsten Fernsehpreis, diesen Heiligenzweiteiler, an den sie glaubt. Ohne mich wäre sie entsetzlich allein mit der ganzen Geschichte, verstehst du? Renz bebte um die Nase herum, seine Art zu weinen, und sie schob ihren Teller weg – warum sollte sie das verstehen, sie war selbst entsetzlich allein mit ihrer Geschichte, der mit Bühl in Havanna und in Assisi, mit seiner Zunge, die ihre Zunge und die weichen Wände ihres Mundes erkundet hatte und später die so versteckte Stelle mit den unzähligen Namen, die nichts von dem wiedergaben, was ihr dort passiert war, als sie nur noch stillhielt oder allem, was er tat, wie bühlsüchtig folgte. Es geht zum ersten Mal nur um mich, sagte sie. Ich bin eher zurückgekommen, weil es um mich geht und nicht um dich. Um ein Stück Leben, in dem du nicht vorkommst! Das rief sie im Hinausgehen, und Renz eilte ihr nach, er hielt sie am Bademantelkragen, Bitte, Vila!, sein schon tausendmaliger Appell, und sie schrie, er solle sie loslassen, so laut, dass Elfi und Lutz es hören würden, wären sie zu Hause – vermutlich waren sie in der Oper, sie hatten ein Premierenabo, etwas, über das Renz nur lachen konnte –, und endlich ließ er den Kragen los, und sie schnellte herum, schon nicht mehr die, die sie sein wollte und am Morgen noch war, und rief, ob er diese Marlies, seine so Elendkranke, liebe.
    Und die Folge: eine der Nächte, die ein Paar auseinanderbringen oder noch mehr verschweißen, ja womöglich beides, verschweißen, was auseinanderstrebt. Natürlich war Renz der Frage ausgewichen, seine ganze Entgegnung bezüglich Marlies oder elendkranker Producerin ein Was-weiß-Ich. Und im Anschluss von ihm gleich die Frage, die sie eigentlich beantwortet hatte: weshalb sie überhaupt schon da sei. Und bei ihr der Impuls, ihm die Wahrheit zu sagen, nur welche? Die von Assisi, von Bühl und ihr, im Grunde einer einzigen Umarmung vom letzten Tageslicht bis zum ersten; oder die andere Wahrheit, die von der Bande aus Freunden und Nachbarn, dem Korsett, das sie beide zusammenhielt, sie die Italo-Essen-Pioniere, das Duo Vila und Renz mit Soloeinlagen von ihm, dem Vorabend-Niveau-Anheber-Pionier, und auch Extranummern von ihr, der Mitternachtskultur-Vorkämpferin mit abwärtsgehender Quote, aber einem Daumen nach oben in der Fernsehzeitung – waren das ihre Lebenswahrheiten? Vielleicht.
    Noch um eins saß sie mit Renz in der Küche, und er ließ dann doch etwas durchblicken, was ihn und seine Kranke betraf, oder sie glaubte heraushören zu können, was ihn nach München trieb, in die Wohnung einer Frau, die für irgendetwas bezahlte, ihr Rauchen, eine gescheiterte Ehe, das Kinderlossein, oder einfach dafür, Eltern mit defekten Genen zu haben – der Frau, für die Bühl geschwärmt hatte, als sie jung war, anmutig mit Zigarette, und die Renz mit ihrer Krankheit zwang, besser zu sein, als er war, das ließ er durchblicken: er der Mann, der eine Todgeweihte bis zum Schluss begleitet. Das hätte er sich selbst nie zugetraut, und jetzt schien alles darauf hinauszulaufen, und er scherte nicht aus, nein, er lief mit, fehlte noch, dass er sagte, Vila, du kannst stolz auf mich sein, aber er sagte nichts. Er saß nur da, die leere Weinflasche zwischen den Händen, kein Häuflein Elend, ein Brocken, und sie sagte auch nichts mehr. Sie nippte an einem Grappa, sein Geruch so zum Erbrechen wie der ganze Abend, die andere Hand im Bademantel, zwischen den Fingern ihr Telefon. Sie hatte Renz irgendetwas von Leipzig erzählt, von den Kandidaten für ihre Sendung, die sie dort angeblich getroffen hatte, zwei kleine Geschichten, von ihm nur abgenickt, nicht aus Gutgläubigkeit, sondern weil er kein Auge hatte für sie; darum der faulige Grappa, wie das Gegengift zu einem, der es nicht merkt, wenn seine Frau von jemand anderem kommt. Und als sie fertig war mit dem Leipzigmärchen,

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