Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
Vom Netzwerk:
Bug, er sah zu ihr herüber, und sie sah weg und wählte weiter, und nun war es ganz einfach, wie eine Gedichtzeile, die man für immer in sich hat, Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin, ein Märchen aus uralten Zeiten, das geht mir nicht aus dem Sinn. In Torri war es schon Nachmittag, nachmittags um halb vier, sie hörte das Freizeichen, ihr Magen dehnte sich in die Brust aus, in den Hals.
    Hier bei Renz, sagte Bühl, seine sachliche Art, unendlich besser als ein Hallo oder albernes Pronto, und sie sagte nur Vila, wie ein Kind, das zum ersten Mal seinen Namen nennt, noch nicht sicher, ob dieser Laut und es selbst auch ein und dasselbe sind. Vila. Er wiederholte den Namen, und sie fragte ihn, was er gemacht habe bis zum Läuten des Telefons, ein Versuch, ihre Neugier auf all sein anderes Tun zu verbergen oder schlicht ihre Gier nach seiner Stimme. Ein paar Sätze verbessert, sagte er, und sie bat ihn, die Sätze vorzulesen, und er wandte ein, ob das nicht zu teuer würde, und sie rief Nein, egal! Danach eine Pause, als müsste er nachschlagen, was er geschrieben hatte, oder sich mit dem Telefon vor sein Gerät setzen, eine Pause, in der sie sah, wie der Dunkelhäutige auf dem Boot herüberschaute, vielleicht auf ihr lautes Egal hin, als ob er es verstanden hätte, und dann fing Bühl auch schon an. Stell dir vor: Franziskus wochenlang allein auf der Landzunge San Vigilio, geschwächt vom Fasten, und auf einmal taucht eine junge Wäscherin auf, sie will sich dem Orden anschließen, er soll ihr das Haar abnehmen, sie hat sogar eine Klinge dabei. Franz prüft die Klinge mit dem Daumen, er warnt vor dem Schmerz und fragt nach ihrem Namen. Gazza, sagt sie, die Elster, ein Vogel, der ihm schon immer gefallen hat, wie kann er ihr da den Wunsch abschlagen. Er sieht zum Himmel und bittet um eine sichere Hand, bevor er der jungen Gazza ins Haar greift: das sich warm und fest anfühlt, ganz anders als das Haar von Klara, das ihm förmlich in die Hände gefallen ist, und er sagt Worte, wie er sie sonst nur im Gebet spricht, tu es pulchritudo, tu es mansuetudo, tu es caritas. Das waren meine Sätze, dann kam dein Anruf. Geht es dir gut? Der Abend wird heute schwer, nicht wahr? Was war dein bester Heiligabend? An den solltest du denken, versprich es.
    Ihr bester, da musste sie ihm nur ein Foto beschreiben, das in Frankfurt auf ihrem Schreibtisch stand – sie und Renz mit Katrin, Katrin noch mit Pferdeschwanz, unter dem brennenden Baum, alle drei auf dem Parkett im Schneidersitz, zu ihren Füßen die ausgepackten Geschenke, der helle Wahnsinn bei der Kleinen, Bücher, Stiefel, Stofftiere, ein halber Zoo, dazu Spielkonsole, Games und ein Globus, der auch zu Renz gehören könnte, schon nah an seinen Geschenken lag, einem Seidenpyjama und Bildbänden, der oberste über den See, daneben ein Stapel CDs, die gesammelte Callas, natürlich auch für sie gedacht: die ihr Hauptgeschenk im Arm hielt, einen Schal, so lang, dass er noch um die Schultern von Renz und Katrin ging. Alle drei lachen wir in die Kamera, auch ein Geschenk, die geöffnete Schachtel am Boden, und schon das erste Foto ein voller Erfolg, jeder scharf und keiner mit Kaninchenaugen durch den Blitz. Ein seliges Paar mit seliger Tochter, die selige Weihnachtsabendfamilie. Unser schönstes oder bestes Fest, sagte sie, Katrin war noch keine zehn, ich gerade fünfunddreißig, Renz in den Vierzigern. Und bei dir?
    Vila rutschte jetzt hinter den Palmenstumpf, sie kam sich nackt vor beim Telefonieren, noch nackter als die grauhaarige Frau, und Bühl erzählte von einem Weihnachten abseits von den Eltern, dem einzigen mit seinem früheren Freund bei dessen Schriftstellervater – der nicht das Geringste von Heiligabend hielt und doch diesen Abend unvergesslich gemacht hat. Hans-Georg Kilian wohnte damals noch in Berlin, vor einer Selbstverpflanzung in seine alte Heimat, nach Bayern, ins Kreuther Tal, für ihn nur das Sterbetal. Seine Wohnung in Steglitz war labyrinthisch, Gänge zwischen hohen Buchregalen, die Räume geschrumpft auf Betten oder Tische, auf einem der Tische die Taschenausgabe eines Weihnachtsbaums, ein Tannenwinzling, den er nach Gutdünken geschmückt hatte. Seine alten Murmeln stellten die Kugeln dar, an Tesafilm hängend, und seine immer selbst geschnittenen, immer schon silbrigen Haare waren das Lametta, und drollige Kindergeburtstagskerzen ragten, befestigt mit Büroklammern, an den Zweigen empor und brannten tatsächlich, als er mit

Weitere Kostenlose Bücher