Liebe in groben Zügen
zuletzt nach ihm geschlagen, wohl auch auf einer Reise; sicher war, dass er sie dazu bringen konnte. Ich bin gleich fertig, sagte er, und sie sah ihm zu, fast mit Kopfschütteln über das Ganze, als produzierten sie beide ihr eigenes Gegengift, um in solchen Momenten nicht zu verzweifeln. Für morgen Abend habe ich einen Tisch, sagte er noch. Weit weg vom Grillqualm. Wie findest du das?
Und dieser vierundzwanzigste Dezember begann lupenrein, der Strand in der Morgensonne hell wie Schnee, wenn man ein Auge zudrückte – Vila frühstückte für sich, Renz schlief noch, sie war aus dem Zimmer geschlichen, schon ihr Badezeug dabei, auch Notebook und Telefon. How are you today, Madam? Ein junger Kellner wie ein Filmprinz bediente sie, er half nur aus, sie sah ihn zum ersten Mal, eine sanfte Stimme und die Augen fast traurig unter dem blauen Himmel, so traurig verloren wie die Weihnachtskugeln an der Scheintanne, die jetzt in vollem Schmuck dastand. Wie ging es ihr heute, wie ging es ihr überhaupt? Sie wusste es nicht, als hätte sie eine Krankheit mit unklaren Symptomen, mal Fieber, mal keins, mal Krämpfe im Magen, mal Wellen von Glück. Schließlich wiegte sie den Kopf, eine vorsichtige Antwort, ich sitze hier, ich lebe, ich sehe das Meer, und der Prinzenkellner schaute etwas bekümmert und hatte, während sie ihren Tee trank und Rührei mit Toast aß, auch von weitem ein Auge auf sie.
Nach dem Frühstück nahm sie ihre Sachen und ging am Strand entlang, vorbei an einem kleinen Nacktabschnitt, wo schon ein Paar in der Sonne lag, etwas älter als sie und Renz, er mit weißem Zopf, vor sich ein E-Book, sie mit langem ergrautem Haar, zwei fleckige Hände auf den Schenkeln, aber zwischen den Beinen ein Mädchen, und plötzlich kamen ihr die beiden mutig vor, keine Nudisten, sondern nur ein nacktes Paar; der Mann sagte irgendetwas, und die Frau lachte kurz, ein Einvernehmen schon morgens um zehn, ja, es kam sogar ihre alte Hand, sie berührte die Hüfte neben ihrer, vielleicht ein Zeichen, ich würde jetzt gern mit dir schlafen, oder lass es uns später tun, am frühen Nachmittag, oder noch besser, um halb vier: wie im schönsten der alten Schlager, die ihre Mutter, die einsame Zahnärztin, oft gehört hatte, Johnny, ich träume so viel von dir, ach, komm doch mal zu mir nachmittags um halb vier. Sie musste sich zwingen, die beiden nicht länger anzuschauen, weiterzulaufen, in einen der Strandläden, die schon aufhatten. Dort kaufte sie für Renz eine Sonnenbrille, keine teure wie die zertretene, aber eine, die ihn verändern könnte, mit bläulichen Gläsern, wie sie John Lennon getragen hatte, und neben den Sonnenbrillen fand sie eine Glaskugel, darin eine Insel mit einem Pärchen unter einer Palme, und schüttelte man die Kugel, schneite es auf das Paar: ein Geschenk für Bühl, wenn er hier wäre, kein Mitbringsel. Sie kaufte noch eine Flasche Wasser für sich und ging damit bis ans Ende des langen Strands, zu einer Bucht, in der ein paar Boote vor Anker lagen, Boote, wie man sie zum Hochseefischen chartern kann, mit verheißungsvollen Namen am Bug oder Heck, Marlin Lady, Lucky Catch, Orgasm Hunter.
Der Strand an der Bucht war ungepflegt, überall kleinteiliger Tang, und eine Art Kraut wucherte über die Sandwellen, dazwischen abgestorbene Bäume und Reste von Hütten, Spuren irgendeines Sturms. Sie setzte sich in den Schatten einer Palme, die es nur noch als dicken Stamm gab, und machte ihr Telefon an und hatte sofort ein Netz, Jamaika ein fernmündliches Paradies, geschaffen für die Amerikaner, die pausenlos am Strand mit zu Hause sprachen. Sie rief Katrin an, aber Katrin war wohl mit Jeff auf der Piste oder lag noch mit ihm im Bett, sie hörte nur ihre Stimme, erst auf Englisch, dann auf Spanisch, Katrins Art, alles Heimatliche gleich abzuwimmeln, also wünschte sie ihr ein Happy Christmas und nach einer Pause noch ein Passaufdichauf, schnell und halblaut, als sei es auch an Weihnachten zu viel oder too much, wie Katrin sagen würde, dann unterbrach sie die Verbindung und wählte die Nummer vom Haus, schon beim Nullnulldreineun für Italien mit einer Mischung aus Krämpfen und Wellen im Magen, und nach der Ortsvorwahl ein Zögern, sie war sich nicht mehr sicher, wie es weiterging, ein kaum begreiflicher Ausfall, und sie begann noch einmal von vorn, während auf einem der Boote, der Orgasm Hunter, jetzt Bewegung war. Ein schlanker Dunkelhäutiger in abgeschnittenen Jeans leerte aus einem Eimer Wasser über den
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