Liebe in groben Zügen
anging. Teamartfilm, Berlin, war interessiert, sie wollten die Option, wenn es ein Treatment gäbe und Franz auf seiner Wanderung bis zur Donau käme, dann könnte man in Regensburg drehen; dazu gleich ein paar Vorschläge von ihrer Seite und als PS, dass sie die Chemo abgebrochen habe, um den Verstand zu behalten. Alles Weitere jetzt mit Ibuprofen oder Stärkerem, Marlies! Renz fand für sie ein Fläschchen mit Wunder vollbringendem Wurzelsaft, Magic health juice, und für Vila eine Däumlingsgitarre, die auf Knopfdruck No woman, no cry spielte. Und für sich kaufte er ein T-Shirt, als Aufdruck ein Speerfisch, der aus dem Wasser springt, weil er am Haken hängt, ein Blue Marlin, wie er ihn nie am Haken hatte und auch nicht mehr haben würde, irgendetwas sagte ihm das, als er das T-Shirt anzog: Das Leben wird nicht mehr sein, wie er es immer erträumt hat. Er ging zurück zum Hotelstrand, aber Vila war nicht auf der Liege, und er sah sie auch nicht im Wasser, er sah sie auf dem Balkon. Sie saß vor ihrem Notebook, und als er mit der Geschenktüte ins Zimmer kam, stand sie neben dem Balkontisch, ihr geschlossenes Gerät in beiden Händen.
Ich muss auch noch etwas besorgen: ihre Worte, als sie an ihm vorbei zur Tür lief. Hast du ein neues Hemd? Sie blieb in der offenen Tür stehen, in dem kobaltblauen Badeanzug, den er im Sommer für sie in Salò entdeckt hatte, eins ihrer Beine leicht angezogen, so, dass die Zehen fast über dem Holzboden schwebten wie bei Kasper, wenn er plötzlich stehen geblieben war, eine Vorderpfote ebenso angezogen, das Tier voller Neugier auf den nächsten Moment, der zugleich das ganze Leben war. Ja, ein T-Shirt, sagte Renz, ich habe es gerade gekauft. Und auch etwas für morgen Abend, zum Auspacken. Wenn wir beide hier schon ganz allein sind.
Der nächste Moment: für Vila der Moment, in dem sie auf einer Veranda über der Hotelrezeption, versteckt hinter großen Pflanzen, wieder vor ihrem Gerät saß, auf dem Schirm ein bühlsches Lebenszeichen, das erste seit ihrer Ankunft, eine Reihe von Fragen, die wie Anfragen klangen. Ob sie von Aarlingen gehört habe, was da jetzt aufgedeckt werde durch seinen früheren Freund und Ex-Mann der Fernsehproducerin M., der spiele sogar damit, als Bankenmensch einen Fonds einzurichten, zur Entschädigung aller Opfer von Missbrauch, ein schreckliches Wort. Und wie sich der Havannabeitrag gemacht habe, in welchem Verhältnis sie zu dem Kameramann Ariza stehe – ob sie auch unter paradiesischen Umständen an ihn denke. Und schließlich, wie mit einer Maus zu verfahren sei, die er jede Nacht in der Cantina umherhuschen höre.
Aber Kristian Bühl, was soll das, ihre ersten Worte, noch vor sich hin gesprochen beim Schreiben, was soll diese Frage, ob ich an meinen Kameramann denke: Ich tue kaum etwas anderes. Und der Kameramann – den ich vermisse, das ist mein Verhältnis zu ihm – hat sein Havannafilmchen natürlich gesehen. Leider haben die Leute gleich reihenweise abgeschaltet bei dem Fernández-Interview, sie wollten nur deine Bilder, Bühl, willst du nicht der ständige Kameramann werden? Ich fürchte aber, sie werden die Sendung einstellen oder mich abstellen, angeblich soll ich dann Kandidaten für ein ganz neues Talkformat testen, dein früherer Freund wäre so ein Kandidat – ja, ich habe von den Dingen gehört, man soll keine Kinder auf Internate geben. Und was die Maus in der Cantina betrifft: Betrachte sie als meine Abgesandte. Man kann das Haus nicht dichtmachen, auch wenn Renz und ich es jedes Jahr nach dem Sommer versuchen, es dauert einen ganzen Tag, der traurigste Tag im Jahr. Und bitte: Sei gut zu dem Cantinatierchen, lass es gewähren. Und stell den Wecker an meinem Bett nicht um, ich will nicht die Winterzeit antreffen. Was wirst du Heiligabend machen? Ich werde hier im Grillqualm sitzen, das gibt mir die Chance zu weinen, und keiner merkt etwas. Auf meiner Uhr ist es gleich halb sieben, eine alte Swatch von Katrin, sie hat uns versetzt, weil sie schon wieder jemandem gefolgt ist, diesmal in den Schnee. Und hier ist es warm und wird gerade dunkel, also ist es bei dir tiefe Nacht, und vielleicht schläfst du schon, das Beste, das einem passieren kann, wenn man liebt und der andere nicht da ist. Vila.
Der traurigste Tag im Jahr, den hätte sie gar nicht antippen dürfen, dieses Versiegeln von Haus und Garten, als seien die Besitzer verstorben. Renz zieht wasserdichte Planen über die Liegen, die Außentische, die Möbel auf dem Dach, sie
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