Liebe in groben Zügen
ihr szenische Phantasie fehlte und ein Gefühl für die Sprache der Hauptfiguren: wie würde Franz reden, wie seine Lieblingsschwester Klara, wie die einfachen Leute oder ein reicher Mann in Regensburg, der sich dem kleinen Wandermönch aus Assisi zu Füßen wirft? Andererseits hatte sie eine Vorstellung von dieser Sprache, sie sollte zu Franz’ Singen und Tanzen passen, eine Art früher Rap: der Bezug zur Gegenwart. Für Marlies war es der Stoff, der im tiefsten Sinne das Wort Unterhaltung erfüllt, nämlich sie mit am Leben erhielt, ja ihr sogar das eigene Leben begreiflicher machte, und die privaten Sätze bezogen sich auch auf dieses Leben, ihre gescheiterte Ehe. Damals schien sie nicht gewusst zu haben, was ein Paar im Innersten zusammenhält und zugleich zerstört, sie wusste wohl nur, dass zwischen ihr und ihrem Mann nichts stimmte und doch etwas passte, und kaufte sich ständig Bücher über Beziehungen und innere Krisen; überall in der Wohnung sollen diese Bücher herumgelegen haben, sogar im Bad, und trotzdem ging das Ganze in die Brüche, die Ehe und auch eine Schwangerschaft, und erst mit ihm und diesem Projekt kam für sie wieder etwas zusammen. Nur leider zu spät für meine Zellen – einzige Anspielung auf ihre Krankheit. Renz wusste nicht, was er antworten sollte, am liebsten hätte er Vila gefragt, was soll ich ihr schreiben, hilf mir; er war es nicht gewohnt, dass eine Frau ihm so vertraute, einen Kämpfer in ihm sah, ein altes, aber anziehendes Schlachtross, und sie, Marlies, die tapfere Knappin. Beide würden sie bei dem Projekt gegen Idioten ankämpfen: die in den Sendern, die immer zu wissen glaubten, was das Publikum wollte, und die im Feuilleton, die sich nur lustig machten über Kostümstoffe mit Sinnfragen. Aber es würde auch noch ein Kampf um die Idioten vor dem Bildschirm, die es ja besonders idiotisch brauchten, damit sie alles kapierten. Man hätte es also nur mit Idioten zu tun, und in den Redaktionen auch noch mit halben Akademikerinnen, die alles immer besser wussten und dabei noch ihr Frauenbild hochhielten, für eine wie Klara mindestens zwei Befreiungsszenen verlangten. Was tust du da? Ein Vilawort aus ihrem Dämmer heraus, und er schloss das Gerät, tat es in die Badetasche, Gar nichts, was auch? Fast eine wahre Antwort, ein Stück Hilflosigkeit, dazu ein Blick durch die Gläser der neuen Sonnenbrille, Vilas Bauch verrufen bläulich, wie in Vorabendmärchen, wenn es gefährlich wird, Mainufer, Außen/Nacht, Blaufilter. Wollen wir jetzt die Charter bezahlen? Er hatte das Geld dabei, fünfhundert Euro für einen halben Tag, reiner Wahnsinn, allerdings hatte ihm der Skipper ein Mitfahrerpaar in Aussicht gestellt, Leute, die gar nicht angeln wollten, nur zuschauen, und trotzdem hundert Euro zahlten, ein gewisses Risiko, wenn es auch noch Idioten wären. Gehen wir, sagte er. Und Vila schloss sich ihm an, sie gingen zu der Bucht und sahen das Boot.
Orgasm Hunter war in einer Schönschrift auf das Heck geschrieben, wie ein Bemühen, dem Namen etwas von seiner Bedeutung zu nehmen. Das Geld in der Hand, ging Renz ins flache Wasser, während Vila am Strand blieb; immerhin hatte sie ihn begleitet, ein Gang in praller Mittagssonne. Er hob die Hand mit den Scheinen und ging auf das Boot zu, bis er vor dem hinteren Deck stand, darauf ein breiter Stuhl mit Anschnallriemen und einer Angelhalterung. Jemand da?, rief er auf Englisch, und wie als Antwort kamen über den rissigen Holzboden und die seitlichen Bänke und das Gestänge für die Angelruten unzählige Schaben. Sie drängten aus dem Spalt unter der Kabinentür und aus Löchern in den Sitzbezügen, ja aus dem Nichts, wie es schien, flitzten ihrer krummen Wege und verschwanden wieder, um anderen, die womöglich dieselben waren, Platz zu machen; ein liliputanisches Spektakel durch die Stäbe der Reling, bis ihm zwei dunkle Beine den Blick verstellten, You bring the money? Eine Hand kam, das Geld in Empfang zu nehmen – ein japanisches Paar komme noch mit, sagte Vincent der Skipper. Die würden ihren Anteil dann dem geben, der das Boot gechartert habe. Also reichte ihm Renz die fünf Scheine und bekam als Quittung die morgige Abfahrtszeit, neun Uhr am Hotelstrand, And don’t be late, man! Der Skipper hielt die Hunderter gegen das Licht, ein Mann von dreißig, halb Einheimischer, halb Amerikaner, breiter Mund, große verschlafene Augen, langes, durch ein Tuch gehaltenes Haar. Er war muskulös, aber auch die Muskeln hatten etwas
Weitere Kostenlose Bücher