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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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dazu ein Wein, den der künstlerische Metzger anbot, Cà dei Frati. Er aß und trank an dem Tisch mit den Fotos und seinen Arbeitsdingen, Blättern, Stiften, Notebook; zwischendurch Blicke zum Telefon, als hätte es kurz geläutet. Drei, vier akustische Hoffnungsschimmer, dann klappte er das Notebook auf, für die beschwerlichere Wanderung an dem Tag, bei sich alles aus den letzten Nächten, jeder Stunde seiner Überwachheit.
    Assisi und Perugia, Spätsommer zwölfhundertzwei, die alte Fehde spitzt sich zu: Wessen Macht und Glanz reichen weiter? Ein Städtekrieg droht, Franziskus und seine Nachtgefährten, Ritter in ihren Träumen wie er, treten den heimatlichen Truppen bei, an einem warmen, strahlenden Herbsttag kommt es auf den Sandbänken des Tiber bei Collestrada zum blutigen Zusammenstoß. Franz kämpft zu Pferd, ein Männlein in Rüstung, sein Schwert saust auf alles nieder, was sich bewegt, einen Arm, einen Nacken, ein Gesicht, das es zweiteilt, aber es bewegt sich zuviel, die Übermacht ist zu groß. Aus dem Nichts tauchen neue Feinde auf, mit Lanzen, Bögen, Schleudern, und ein Widerhaken reißt ihm den Schenkel auf, die Hand kann das Schwert nicht mehr halten, um ihn herum nur Tod und zuckendes Fleisch. Die Gefährten seiner Nächte mit brennendem Pech im Haar, gespaltenen Beinen, die Knochen entblößt; anderen quillt das Gedärm heraus, sie brüllen wie die Kälber, wenn man sie aufschlitzt. Vor seinen Augen die Niederlage der Vaterstadt, ihr ganzes Blut: als räche sich all der Ungehorsam gegenüber Pietro di Bernardone, ja, als hätte auch Pica, die Mutter, sich von ihm abgewandt. Fußsoldaten zerren ihn vom Pferd, er muß laufen trotz seiner Wunde, wer nicht weiterkann, wird erschlagen. Erst in der Nacht erreicht man Perugia, aus den Fenstern nur Hohn und Jauche, sechzig Söhne Assisis werden in die lichtlosen Kerker der Stadt geschleift, von da an nichts als Kälte, Hunger, Drangsal. In seiner Wunde leben die Maden, er läßt sie gewähren; alle anderen weinen sich in den Schlaf, er aber dankt dem Herrn für die Tiere, die er ihm schickt, damit sie den Eiter fressen. Die Wunde heilt, und er singt, während die anderen nur stöhnen und Stefano, liebster Gefährte, neben ihm immer schwächer wird, nachts ein zitterndes Vögelchen, das er wärmt und dem er zu essen gibt aus seinem Mund, das weichgekaute Brot, das ihn ernährt. Sie halten einander, Tag und Nacht, sie ertragen die Enge, den Gestank, das faulige Essen. Fast ein Jahr dauert die Kerkerhaft ohne Sonne, das einzige Licht ist die Nähe – kaum noch zu sagen, wo der eine aufhört und der andere anfängt. Erst ein Abkommen vom sechsten November zwölfhundertdrei ermöglicht die Heimkehr der Gefangenen. Halbblind und auf zwei Stecken gestützt, erreicht Franziskus seine Vaterstadt, und die Mutter umsorgt ihn. Nach und nach kommt er wieder zu Kräften und träumt den alten Rittertraum weiter: ein Mann sein, über dem nur noch Gott steht. Und im Frühjahr zwölfhundertfünf schließt er sich dem Apulien-Feldzug an, dreiundzwanzigjährig. Aber alle Träume von Heldentaten und einem Wohnturm voll Waffen reichen nur für zwei Tagesritte. Bei Spoleto – er liegt nachts neben seinem Pferd, zu erregt für den Schlaf, über sich die Sterne, nach denen er greifen will – fragt ihn eine Stimme, warum er den Knechten nachlaufe, statt nicht dem Herrn selbst zu dienen. Eine einfache Frage, so einfach und knapp, dass man auch Jahrhunderte später nicht wissen muss, woher diese Stimme kam. Die Güte der Worte steht über dem Woher – wie bei der Kurznachricht auf einem Display, gegen Morgen eingetroffen, auch die Güte der Worte über der Frage stand, wie sie dort hingekommen waren, was sich in welchen Sphären oder Glasfaserkabeln abgespielt hatte. Ich bin bei dir, vier Worte auf dem kleinen blauweißen Schirm, das Geständnis einer Halluzination: ja, mag sein, ich sitze im Flugzeug oder bin schon in Frankfurt, nur bin ich in Wahrheit dort, wo ich liebe. Und er nahm das Gerät, dem es einerlei war, was es empfing und was es versandte, das sich nicht einmischte, wie Gott sich einmischt, und ging damit auf die Terrasse. Eine sternlose Nacht, der See schwarz, aus dem Ort Geknalle, obwohl erst morgen das neue Jahr anfing. Was sollte er zurückschreiben? Er entschied sich für ein einziges Wort, Unterried!, aber erlaubte sich das Ausrufezeichen, das für sein Wollen stand: nichts schlimmer bei Liebenden als das Feierliche, wenn alles ineinanderfließt, ohne Ja und

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